Namensgrat

Namensgrat

Nun schreibe ich schon seit über zwei Jahren für diesen Blog. Manchmal werde ich gefragt, ob ich denn noch genug Themen habe, wenn es ja „nur“ im Namen geht. Dann lache ich gedanklich diabolisch auf und denken: „Oh, ihr Ungläubigen“. Meine Antwort lautet dann aber immer gleich: „Na klar, ich habe so viele Ideen, nur leider nicht immer die Zeit, etwas zu schreiben.“ Ein paar Beispiele gefällig? Ich will seit zwei Jahren über die Namensvergabe bei Spielzeugponys schreiben, über Namensänderungen in Büchern und über Tiernamen.


Ideen, an die ich gar nicht gedacht habe

Aktuell habe ich einen halbfertigen Artikel über Schnullerkettennamen (da ist für alle etwas dabei) und recherchiere zu den Themen Zwangsänderung von Vornamen und Monatsnamen, die letzten beiden Ideen stammen von euch. Denn ihr kommt auf Ideen, an die ich gar nicht gedacht habe. Ich merken sie mir und ich werde sie in einen Artikel umsetzen, aber leider nicht so schnell, wie ich möchte, denn es ist ja immer irgendwas und manchmal bin ich einfach nicht in der richtigen Stimmung.

Aber jetzt, wo sich die Sommerferien dem Ende zuneigen und ich in dieser ganzen Zeit noch keinen neuen Artikel veröffentlicht habe, kam mir heute beim Haarwaschen dann doch wieder eine Idee in den Sinn, auf die mich Communitymitglied Adelheid gebracht hatte. Es ging dabei um Lorelei. Also nicht um die schöne Sirene Loreley, die der Legende nach regelmäßig Schiffe im Rhein bei Sankt Goarshausen in Rheinland-Pfalz versenkt und die Heinrich Heine in seinem Gedicht „Die Lore-Ley“ verewigt hat, sondern um den Namen an sich. So schrieb Adelheid unter den Babynamen der Woche 20/2023:

„Lorelei finde ich tatsächlich interessant, irgendwie verwunschen und mysteriös, ohne dabei allzu abgedreht zu wirken – wohl ein sehr schmaler Grat. Ein Name, den ich in die gleiche Kategorie stecken würde, wäre übrigens Melisande, oder auch Naliandra […]“

Wie kann man nur, das arme Kind!

Deshalb geht es heute um Gratnamen, zwischen deren Beurteilung von „Wow, was für ein toller Klang“ zu „Nee, das geht ja überhaupt nicht, wie kann man nur, das arme Kind! Weil andere Kinder können grausam sein und überhaupt, sollten Eltern durch die Namensvergabe ihrer Kinder sich nicht selbst verwirklichen, warum winkt das Standesamt das durch, ja sind wir denn hier schon in der USA?!“ nur eine enge Spanne liegt, ein Vokal zu viel, ein falsch gesetzter Akzent und alles fällt in sich zusammen. Rettungslos verloren. Na gut, das war jetzt vielleicht etwas melodramatisch. Aber es geht ja nur ums Prinzip. Natürlich sind Gratnamen bei jedem Menschen unterschiedliche. Ich mag Lorelei einfach so, ich finde ihn (vielleicht auch durch Gilmore Girls) etwas ausgefallen, aber gut vergebbar. Bei Melisande und Naliandra gehe ich aber mit, beides klingt märchenhaft, aber nicht so zuckersüß wie Dornröschen oder „zu“ ungewöhnlich wie Liridona. In die „Mysteriös, aber nicht abgedreht“-Kategorie würde ich auch Salomea einordnen. Die polnische Variante des hebräischen Namens Salome wurde seit 2010 nur 50-mal vergeben. Er stammt von der hebräischen Wurzel „šlm“ ab und bedeutet „wohlbehalten sein“ oder „Frieden halten“. Eine märchenhafte Irene also. Weitere Gratnamen wären für mich Liora, Lysander, Laureline und Valerian (ja, die letzten beide habe ich aus dem Film „Valerian“).

Süß, schubladig oder hochgestochen

Aber was macht denn nun einen Gratnamen zu einem Gratnamen? Warum finde ich Laureline gut, aber Laurelina zu viel? Warum finde ich Lasse als „Bullerbü“-Gratname okay, möchte aber bei Bosse selbst „Ach du je, wie kann man nur“, rufen? Was hat Kjell, was Jelle nicht hat? Wieso gefällt mir Aleida, aber Aleid nicht als Retro-Gratname? Warum liebäugele ich mit Wilhelmina als potenziellen Zweitnamen, wenn es mich bei Wilhelm schüttelt? Weshalb finde ich Melody süß, während ich Harmony schubladig finde? Weswegen nicke ich bei den Babynamen der Woche Aurelia ab (Kategorie „elegant und vornehm“), finde Aurora aber zu hochgestochen. Na gut, letzteres liegt vermutlich an der Dornröschenverfilmung.

Gratnamen als Rufnamen?

Und würde ich einen Gratnamen auch als Rufnamen vergeben? Ich weiß es nicht. Denn bei solchen Namen sehe ich eher die Gefahr, dass sie mir irgendwann vielleicht doch nicht mehr so sehr gefallen könnten, wie sie sollten. Das meine Freude an ihnen durch eine falsche Aussprache, eine unbedachte Aussage oder ein negatives Vorbild schwindet.

Aber wer weiß, vielleicht verkünde ich in ein paar Jahren voller Stolz die Geburt von Lasse und Laureline (und zettele damit eine Diskussion an, dass das viel zu ähnlich, aber gleichzeitig etymologisch zu weit entfernt ist ). Beim Heraussuchen der potenziellen Kindernamen kam mir die Erkenntnis, dass es nicht so geschickt wäre, zwei Gratnamen zu kombinieren. Aleida Laureline hat einfach zu viele Vokale und Naliandra Melisande und Lysander Valerian klingen zu sehr nach elterlicher Selbstverwirklichung und Feenland.
Es ist und bleibt also ein schmaler Grat.

17 Gedanken zu „Namensgrat“

  1. Lorelei hat durch „Gilmore Girls“ tatsächlich (im positiven Sinne) etwas von der Märchenhaftigkeit verloren und ist zu einem Namen geworden, der wie gesagt ungewöhnlich und ein wenig mysteriös, aber eben nicht mehr total nach Sagen und Legenden klingt.

    Ansonsten hängt für mich sehr davon ab, ob ein Name zum Beispiel eine unschöne Assoziation weckt (Bei Bosse denke ich gleich an „Boss“ und Aleid klingt mir zu sehr nach „Leid“, was bei Aleida abgemildert wird) oder wie ähnlich er einem anderen schon geläufigeren Namen ist. (Lysander ist z.B. ziemlich dicht an Leander dran)
    Laureline und Melisandre (das ist die aus „Game of Thrones“ – gibt’s noch irgendwo eine ohne r?) kann man zudem im Alltagsgebrauch wunderbar abkürzen, so dass das Kind dann auch als „Laura“, „Line“, „Meli“, „Lisa“ oder „Sandy“ auftreten kann, wenn der Gratname doch mal zu sperrig ist.

    (Witzigerweise heißen zwei von unseren Zwergschlammelfen Lysander und Melisandre, ich bin also voreingenommen… 😉 )

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  2. Die 1968 geborene Tochter von Lilo Pulver hieß Melisande, ist der Name in der Schweiz vielleicht sogar geläufiger?

    An Loreley habe ich mich total gewöhnt, weil meine Gilmore-Girls-infizierte Freundin G. vor bald 15 Jahren ihre Tochter so genannt hat. Und gar nicht „gratig“ finde ich Liora – der Name ist zwar sehr selten und könnte als vokalreich aufgemotzte Lora („Papageienname“) empfunden werden, aber für mich macht die Kürze Liora unproblematischer als Melisandre, Naliandra und Co. Zudem ähnelt Liora Modenamen wie Livia, Louisa oder Fiona.

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  3. Ortrud zB ist doch eine böse Zauberin in der Oper Lohengrin. Es gibt auch Ortrun. Beide Namen klingen nach einer intelligenten Person die viel beobachtet und vorausschauend denkt. Vergeben kann man die Namen eher nicht, bzw nur an Fantasy-Figuren, weil sie für die meisten Leute nach „alte Oma-Namen“ klingen. Auch Hiltrud, Brünhild, etc. gefallen mir, aber fallen aus dem og Grund weg.
    Dann noch Mounira und ähnliche Namen, die aus dem arabischen Sprachraum stammen, da befürchte ich Ärger zB am Flughafen.
    Gut vergebbar, super schön und stark finde ich Dora.

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    • Bei Dora – mag ich auch sehr – fällt mir Feodora ein: für mich auch ein „Gratname“. Ich finde Feodora sehr schön, aber auch zu mächtig, um ihn zu vergeben. Komischerweise sehe ich Theodora dagegen als völlig unproblematisch an.

    • Ich wiederhole mich, aber bei Dora denke ich nicht an „Dora the explora“ (oder so ähnlich), sondern an das Grusel-KZ Dora-Mittelbau, wo unter Tage die V2-Raketen zusamengeschraubt wurden.

    • elbowin, kann mich an deinen Beitrag erinnern. Bei mir ist diese Assoziation jedoch nicht so stark. Denke eher an eine starke Frau aus meiner Familie und an Hannes Wader. In seinem Lied Familienerbe singt er über seine Mutter, die als Dienstmädchen/Haushälterin bei einem reichen Mann angestellt war:
      Dora fegt mit Handfeger und Schaufel sein Gehirn vom Teppich und, die gnädige Frau will es eben so, entsorgt es wie befohlen auf dem Dienstbotenklo.

    • Zu Dora, neben der Zeichentrickfigur denke ich an Kafkas Verlobte Dora Diamant.

      Ich finde Dora okay, aber so ganz meins ist es nicht. Dorea wäre ein Gratname

    • ein bisschen muss ich an die Stiefschwester von Aschenbrödel denken. Die in der Haselnüsse Verfilmung heißt Dora und die Mutter preist sie dem Prinzen an. Ob ihr das wohl recht war so verkauft zu werden? evtl war die Stiefschwester gar nicht böse, nur die Stiefmutter so übergriffig.?

    • Stimmt, an Stiefschwester Dorchen denke ich bei dem Namen auch 😉 Die Böse war eindeutig die Mutter, für D. kann man wohl mildernde Umstände geltend machen. Und irgendwie … Da Aschenbrödel selbst in dem Film keinen Vornamen hat, überträgt sich meine positive Assoziation zu dem Film sogar auf den Namen ihrer „bösen“ Schwester. Muss man nicht verstehen.

    • Na ja, im Märchen heißt sie ja auch nur „Aschenputtel“, da ihr alles geraubt wird, sogar ihre Identität.

      Der Prinz hat auch keinen Namen.
      Abgesehen von Dora und „Klein-Röschen“ fallen mir auch keine ein.

      Kaspar ist der Hund, Nikolaus das Pferd, Rosalie die Eule und die Katze heißt Murli.

  4. Undine ist auch so ein Name,
    Aurelia war bis vor einigen Jahren auch in dieser Kategorie
    Melusine („Die schöne Melusine“)
    Griseldis (schönen Gruß von Hedwig Courths-Mahler)

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    • Die Schokoladentaefelchen wurden übrigens nach der Schwester der letzten deutschen Kaiserin benannt.
      Melusine und ihre Schwester Armgard sind bei Fontane Thema einer Namensdiskussion.

    • Melusine heißt eine unserer Farbmäuse. Ich finde, da darf man alle Namen vergeben. Einem Kind würde ich das nicht zumuten wollen.
      Auch Serafina fällt für mich in diese Kategorie, obwohl der in letzten Zeit öfter vergeben wird.

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