Verrückt nach jüdischen Namen?

Menora © Jakub Krechowicz - fotolia.com
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„Germans are going gaga for Jewish names“ wundert sich eine Autorin eines amerikanischen Ratgeber-Portals, das sich speziell an jüdische Eltern richtet. Warum nur nennen ausgerechnet die Deutschen so viele ihrer Kinder Ben, David, Hannah und Leah?


Die Soziologin Ruth Zeifert meint, dass sich die heutige jüdische Generation nicht mehr über alttestamentarische beziehungsweise jüdische Vornamen als zur Gruppe der Juden Zugehörigen identifizieren kann, weil diese Vornamen so häufig von nichtjüdischen Deutschen vergeben werden. Am Rande ihrer Dissertation „Nicht ganz koscher – Vaterjuden in Deutschland“ sucht sie nach den Beweggründen Deutscher, ohne jüdischen Hintergrund diese Namen zu wählen:

Zum einen konnte die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in den Folgegenerationen dazu geführt haben, dass Juden entstigmatisiert wurden, also als vollständig integriert gelten, so dass keine Berührungsängste mit jüdisch konnotierten Namen (mehr) bestehen. „Der Jude“ ware so gesehen ein „Gleicher“ – in Deutschlands Geschichte und Gegenwart.
Zum zweiten konnte den Namensgeber/innen in einer Gesellschaft, in der Religion nur noch eine sehr zurückgenommene Bedeutung hat, durch mangelnde Kenntnis über das Alte Testament und dessen Herkunft nicht bewusst sein, dass es sich hier gewissermaßen um traditionell eher als jüdisch geltende Namen handelt. Auf der Suche nach Namen, die gefallen, nicht zu fremd klingen, aber selten scheinen, fallen nun alttestamentarische quasi hintergrundsfrei ins Auge oder,
drittens, es handelt sich um eine – wahrscheinlich unbewusste – Strategie, die Gräuel, die die eigenen Vorfahren an den Juden vor und während des Holocaust vollzogen haben, zu verdrängen und zu verschütten.

Meiner Meinung nach ist ein vierter Punkt entscheidend: Ich vermute, dass die meisten Eltern von Ben, David, Hannah und Leah gar nicht so viel über die Tradition dieser Vornamen wissen. Vielmehr sind diese und andere alttestamentarische Vornamen in Deutschland über popkulturelle Einflüsse aus den USA nach Deutschland gekommen. Sehr viele amerikanische Schauspieler/innen und Musiker/innen haben solche Vornamen und zahlreiche Figuren in Büchern, Filmen und Serien wurden aus diesem Namensvorrat benannt. Vor allem junge Eltern lassen sich bei der Namenswahl gern aus der Popkultur inspirieren und benennen ihre Kinder nach ihrem Lieblingsstar. Über diesen Umweg über die USA wurden die jüdischen Vornamen in Deutschland populär.

Eine Möglichkeit bleibt den jüdischen Eltern, die ihr Jüdischsein durch die Vornamen ihrer Kinder sichtbar machen wollen: Jiddische Vornamen. Diese sind veraltet und kommen in Deutschland nur sehr selten vor. Meistens handelt es sich um Varianten alttestamentarischer Namen (zum Beispiel Moishe statt Moses oder Rochele statt Rahel). Jiddische Vornamen stellen eine jüdische Namenstradition und taugen darum als Verweis auf jüdische Wurzeln. Jedenfalls so lange, bis die Fans ungewöhnlicher Babynamen jiddische Vornamen als Geheimtipp entdecken …

14 Gedanken zu „Verrückt nach jüdischen Namen?“

  1. Also, strukturell stimme ich den meisten Ausführungen von Frau Zeifert zu – gerade dem letzten Satz in der zitierten Passage. Bei den Leuten, die aus Überzeugung alttestamentatischen Namen vergeben, geht es um politisch-religiöse Statements: Die Evangelikalen wollen sich ans Alte Testament heranschleimen, die Käsemann-Christen wollen den Holocaust wegbügeln.

    Auch Knuds Reimport-These Eltern stimmt natürlich: Altes Testament –> angelsächischer Sektenprotestantismus –> US-amerikanische Popkultur –> Adaption in Deutschland.

    Ein fünfter Punkt wäre Islamophobie. Das Beschwören der „christlich-jüdischen Wurzeln Europas“ hat fast immer einen Stich gegen den Islam.

    Aber jiddische Vornamen in Deutschland?! Um Gottes Willen! Unter deutschen Juden lösen Vornamen wie Moische oder Rochele bestenfalls Gelächter und schlimmstenfalls pikiertes Schweigen aus: „Aha, wieder mal ein Konvertit, der einen auf Jidde machen will.“ Das sind gerade unter Juden Witzblattnamen.

    Und in Deutschland wurde nie jiddisch gesprochen! Jetzt mal abgesehen von ein paar Einwanderern aus dem Osten in Weimarer Zeit. Jiddisch war (mit verschiedenen Dialekten) die Sprache der Juden im Ansiedlungs-Rayon der Juden im Zarenreich. Auch das „Judendeutsch“ war kein Jiddisch. Und Jiddisch wird heute überhaupt nirgendwo mehr gesprochen, auch nicht in New York, auch nicht in Israel – es ist eine reine Folklore-Sprache. Wie Friesisch.

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  2. Harki,

    Irgendwie habe ich bei Dir den Eindruck, dass Du das Jiddische sowieso nicht magst und ganz froh bist, dass es fast verschwunden ist.

    Muss sagen, dass ich diese Sprache unheimlich ausdrucksstark und poetisch finde, und mich an ihr kaum satt hören kann. Ich stand bei meiner Wahl einer „graduate school“ zwischen zwei Optionen: hätte zu Ohio State gehen können, wo ich tatsächlich Jiddisch/Ashkenazi Studies studiert hätte, ging dann aber doch auf Washington University in Saint Louis, aus verschiedenen Gründen. Auf jeden Fall waren an Wash U 30% der Studenten Juden, und die Uni lag am Rand des jüdischen Wohngebietes in University City, und ich belegte zumindest einen Kurs über deutsch-jüdische Literatur. So kam ich dann doch wenigstens etwas auf meine Kosten, was mein Interesse an allem Jüdischen und auch Jiddischen anging.

    In New York sprechen die Chassidim noch Jiddisch; insgesamt gibt es auch heute noch über 100,000 Bürger New Yorks, die zuhause Jiddisch sprechen, und diese Gemeinde wächst, da die Chassidim nun mal sehr viele Kinder bekommen, so dass jede Generation wesentlich größer ist als die vorherige.

    In Deutschland ist das Jiddische ja im frühen Mittelalter entstanden, vor allem unter romanisierten Juden im Rheintal, die nach der germanischen Eroberung des Rheintales, ihre romanisch-hebräisch-aramäische Mischsprache mit dem Mittelhochdeutschen zu vermischen begannen. Von Deutschland aus verbreitete sich die jiddischsprechende Bevölkerung gen Osten, und als dann im 18. Jahrhundert die Assimiliation der deutschen Juden vor allem auch durch das Verbieten der jiddischsprachigen Yeshivas stark voranschritt, starb das Westjiddische praktisch aus, und nur noch das Ostjiddische in Polen, Russland, Rumänien, etc., blühte weiter. Von ca. 1880 an bis zum zweiten Weltkrieg erblühte eine unglaubliche Literatur, die ich an Ohio State studiert hätte, wäre ich dort hingegangen, als knapp sechzig Jahre lang. Dann kam das Aus für die jiddische Sprache in Osteuropa. In Israel wurde Jiddisch als zu deutsch/europäisch empfunden und galt als unpatriotisch–der Druck war groß, auf das Hebräische zu wechseln.

    Und so lebt das Jiddische in einer religiösen Sondergruppe in New York fort. Schon unglaublich, die Geschichte dieser Sprache. Anscheinend wird unter Chassidim in Großbritannien auch noch zum Teil Jiddisch gesprochen.

    Jiddische Namen liebe ich sehr, aber es besteht natürlich kaum ein Kontext dafür. Deutsche können sich bei Standardformen jüdischer Namen auf die Bibel berufen, und diese Namen haben auch international, vor allem in den USA, große Verbreitung. Aber jiddische Namen? Ohne einen chassidischen Hintergrund wirkt das einfach nur künstlich. Für mich ist das Jiddische weit entfernt. Da meine jüdischen Vorfahren Deutschjuden waren, haben sicher auch sie spätestens im 18. Jahrhundert das Jiddische aufgegeben, und das Westjiddische unterschied sich auch von dem heute noch gesprochenen Ostjiddischen. Ausgerechnet ein Wort wie Ganove ist heute im Deutschen noch vom Jiddischen her gebräuchlich….

    Tatsächlich vermute ich, dass die Deutschen bei jüdischen Namen eher auf den weichen vokaligen Klang, die internationale (eben auch US-amerikanische) Aura und die Unverbrauchtheit/Frische im deutschen Kontext abfahren. Gleichzeitig erleichtert der biblische Kontext den kulturellen Transfer und gibt den Namen obendrauf noch einen leicht klassischen Anstrich. Mich stört es nicht; nur wünschte ich mir, dass die Deutschen das in Deutschland Herkömmliche stärker zelebrieren würden.

    Harki, Dir wünsche ich eine jiddischsprechende Frau aus Friesland, und einen Sohn namens Moische-Yeckel Onno Tjaark.

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    • Mark,

      „Irgendwie habe ich bei Dir den Eindruck, dass Du das Jiddische sowieso nicht magst und ganz froh bist, dass es fast verschwunden ist.“

      Ja, das hast Du ganz richtig verstanden. 🙂 Ich mag die Sprache einfach nicht.

      Natürlich kommt das Jiddische aus Deutschland, woher sonst? Aber das ist Jahrhunderte her! Kennst Du übrigens die New Yorker jüdische Zeitung „The Forward“ – ursprünglich eine jiddische Zeitung. פֿאָרווערטס‎ = Forverts, benannt nach dem deutschen SPD-Blatt Vorwärts. Und das ist eben gerade keine chassidische/lubawitscher Postille, sondern steht in der Tradition der jüdischen Arbeiterbewegung im Umfeld des „Bundes“, nach amerikanischem Sprachgebrauch halt „Liberals“. Übrigens eine sehr gute Zeitung.

      https://de.wikipedia.org/wiki/Allgemeiner_J%C3%BCdischer_Arbeiterbund

      Du weißt, daß ich seit meiner späten Kindheit um meine Identität kämpfe: politisch, national und religiös. Nur haben gerade sprachliche Identitäten oft einen Zug in Gequälte, ins „verkniffen Suchende“. Über jiddische Namen sind wir uns ja sogar fast einig.

      „Harki, Dir wünsche ich eine jiddischsprechende Frau aus Friesland, und einen Sohn namens Moische-Yeckel Onno Tjaark.“

      😀

      Und Dir, Mark, wünsche ich, daß Du Dich in eine Muslima verknallst und mit ihr Ehebruch begehst – und danach Gewissensqualen und Höllenangst leidest. Und hinterher hast Du noch einen Sohn namens Muhammad oder eine Tochter namens Aischa.

    • Okay, Harki, das mit dem Ehebruch ist zu heftig. Wenn es Dich wirklich so beleidigt hat, mit der jiddischsprechenden Friesin, dann tut mir das leid. Ich wollte nicht zu weit gehen, habe es aber offensichtlich getan, sonst hättest Du mir nicht so etwas hingeknallt.

    • Mark, ich wollte Dich auch nicht beleidigen! Sollte ich es getan haben, tut es mir leid. Ich habe das als Witz empfunden. (Daran, daß manche Leute meine Witze nicht witzig finden, bin ich freilich seit Jahr und Tag gewöhnt.)

      Daß ich zurückballern würde war klar, wa? Aber ich wollte Dich nicht verletzen.

      Für mich ist Ehebruch halt der Normalzustand. Bis etwa bis zum Biedermeier war es für einen Herrscher eine Frage der Ehre, neben seiner Ehefrau, die für das Kinderkriegen zuständig war, mehrere Maitressen zu haben (die ihrerseits oft verheiratet waren). König Salomon war in dieser Disziplin übrigens auch nicht schlecht. Und sogar ich hatte noch die Ehre, zwei im Grunde kaputten Ehen den Gnadenstoß zu geben. (Im Wortsinne. 😀 )

      Nochmals: Um Pardon! (Bei Mark, nicht bei den Ehemännern oder gar bei Ihm, der Einer ist.)

    • Harki,

      Danke für die Rückmeldung, es ist für mich eine Erleichterung zu sehen, dass es doch nicht so gemeint war, wie ich es empfunden habe.

      Der Friesinnenwitz war insofern unfair, als der Witz umgekehrt wegen meinem Ehestatus nicht geht.

  3. Gibt es in Deutschland denn wirklich so viel mehr hebräische Namen als in anderen Ländern mit christlicher Tradition? Ich hätte ja Namen wie Anna, Hanna, Sarah, Lea, Johannes, Daniel, Simon … immer zuerst als „biblisch“ eingeordnet und nicht als „jüdisch“. (Wenn ein Kind Moses, Isaak oder Zippora hieße, sähe das schon anders aus.)

    Recht viele hierzulande sind doch mit biblischen Geschichten aufgewachsen, auch jene, die gar nicht (mehr) gläubig sind oder die nur noch Heiligabend und zu Hochzeiten in die Kirche gehen. Da könnte man diese Namen einfach als wohlklingend, zum Teil auch als frisch (=selten in der eigenen Generation) im Ohr haben.

    Ich selbst habe übrigens mit 9, geprägt vom Kindergottesdienst, meine Puppe Rebekka getauft 🙂

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    • Kein Mensch empfindet heute Johannes (inkl. aller Derivate) als jüdisch, auch wenn der Name letztlich aus dem Hebräischen stammt. Aber er kommt eben aus dem NT und nicht aus dem AT: Johannes der Täufer (mein Schutzheiliger 🙂 ) und Johannes der Evangelist.

      Bei Anna ist es ähnlich. Die Mutter der Mutter Gottes, Schutzheilige Quebecs und Schlesiens!

      Der (schauderhafte) Name Zippora bedeutet übrigens „Vogel“. Der Kalauer dazu ist im Deutschen so naheliegend, daß ich mich nicht getraue, ihn zu verschriftlichen. Die neuhebräische Kurzform ist Zipi, wie bei der Politikerin Zipi Livni.

      Ja, Rebekka klingt jüdisch – ich mag den Namen aber komischerweise trotzdem sehr. Wenn ich ein Mädchen geworden wäre, hätte ich Esther geheißen. Weia. Die Oma Walton aus der US-TV-Serie und Loriot („Meine Schwester heißt Polyester!“). Schon 1967 war der Bezug zum Judentum weitgehend verloren gegangen. Eine sehr liebe Ex-Kommilitonin von mir heißt Esther. Die ist aber in Sachsen geboren und aufgewachsen, wo man halt kein Westfernsehen gucken konnte („Tal der Ahnungslosen“), daher sind ihr Witzchen erspart geblieben. Sie arbeitet heute als Elitesoldatin: Sie gibt Deutschunterricht für Ausländer. Habe sie vor einem guten Jahr zufällig wiedergesehen. Sie leidet ein bißchen unter ihren ergrauten Haaren. Ist vermutlich job-bedingt. „Nur Klaas sieht immer gleich aus.“ Hat mir in einer schlimmen Suff-Phase etwas Mut gegeben. 🙂

    • Ich vermute auch, dass diese Namen eher als biblisch im Bewusstsein sind und kaum mal als jüdisch. Die Eltern von heute werden aber viel stärker durch Netflix als durch die Bibel geprägt, so mein Eindruck.

  4. Für Christen ist sowohl das Alte wie das Neue Testament wichtig und darum meine ich dass diese Biblischen Namen auch für deutsche Kinder gut vergebbar sind. Ich finde es traurig, wenn jüdische Familien deshalb meinen, die alttestamentarische Namen zur Identifikation nicht mehr vergeben zu können. Eva, Hanna, Ruth, Daniel, David, Jakob, Josef waren immer gebräuchlich im Christentum, das hat meiner Meinung nichts damit zu tun, dass der Holocoust verdrängt werden soll.

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  5. Ich empfinde viele israelische Namen als sehr klangvoll. Kürzlich habe ich ein Buch gelesen, in dem eines der Kinder des Protagonisten Itamar hiess. Den Namen hatte ich zuvor schon mal in Brasilien gehört und dachte es wäre einer dieser südamerikanischen Eigenkreationen. Passt ja auch gut weil ‚mar‘ drin vorkommt und wer denkt da nicht auch gleich an die Copacabana?
    Einer meiner liebsten Mädchennamen ist übrigens Noa, weil er einfach schön klingt. Ich glaube der Name ist lange ein ziemlicher Spitzenreiter in den Niederlanden gewesen.
    In anderen Ländern wird sich eben sehr viel gelassener aus der grossen Cross-Culture-Kiste bedient, ohne das es tiefergehend hinterfragt wird. Andererseits – und das hatte ich an anderer Stelle neulich schon mal erwähnt – muss man eben abwägen, ob man sein Kind insbesondere durch einen jüdischen Vornamen nicht vielleicht belastet.

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  6. Ich denke, die meisten Eltern haben die Namen gar nicht als „jüdisch konnotiert“ im Bewusstsein, sondern einfach als schön klingende und kurze Vornamen. Einige dieser Namen werden ja schon seit Generationen (oder wurden zumindest vor einigen Generationen) vergeben und einige sind ja auch Kurzformen. Mein Name ist ursprünglich auch hebräisch, aber er ist in Deutschland so etabliert, dass (außer eben einigen Juden) keiner mehr an den eigentlichen Ursprung denkt. Selbst in der Nazizeit waren diese Namen nicht verboten, eben einfach, weil sie unter Deutschen schon damals mindestens so verbreitet waren wie unter den Juden selbst

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