Der 30. Dezember ist für die meisten Menschen nur der Tag vor Silvester. Ein bisschen langweilig. Oder stressig durch Partyvorbereitungen. Knud Bielefeld feiert allerdings bereits und mit ihm viele, die wie er für das Thema Namen brennen: Der Vornamen-Experte veröffentlicht zum Jahresende traditionell die beliebtesten Babynamen Deutschlands. Seine aktuelle Auswertung basiert auf einer repräsentativen Stichprobe von 250.000 Geburtsmeldungen. Das sind etwa 34 Prozent aller 2022 geborenen Babys.
Annemarie Lüning: Erst mal herzlichen Glückwunsch, Knud: Gegenüber 30 Prozent aller Babys 2021 hast du mit deinem Team noch mal eine Schippe draufgelegt! Wie hast du das geschafft?
Knud Bielefeld: Die Babygalerien der Geburtskliniken – eine wichtige Quelle – haben sich nach coronabedingten Schwierigkeiten erholt: Fotografinnen und Fotografen können wieder Bilder von Neugeborenen machen und online stellen. Von den Kontakten zu Standesämtern, die ich in den letzten zwei Jahren als Ersatz angeschrieben hatte, profitiere ich aber weiterhin. Es sind sogar noch ein paar dazugekommen, die mich mit Namen versorgen. Manchmal war es vermutlich so, dass die bearbeitende Person im ersten Jahr noch gedacht hat, was soll der Blödsinn, und es sich jetzt bei meiner erneuten Anfrage anders überlegt hat, weil sie inzwischen in den Medien meine Hitlisten wahrgenommen hat und unterstützenswert findet.
AL: Anders als 2021 hast du wieder einige Bundesländer einzeln ausgewertet – für werdende Eltern aus den jeweiligen Regionen sicher besonders spannend. Die Stadtstaaten hast du dabei dem jeweiligen Umland zugeschlagen …
KB: Ja, bei mir wächst zusammen, was zusammengehört (lacht). Tatsächlich ist es ja so, dass beispielsweise viele Kinder aus Schleswig-Holstein in Hamburg geboren werden. Bei kleineren Ländern beziehungsweise dort, wo ich nur wenige Rückmeldungen von den Ämtern erhalten habe wie Mecklenburg-Vorpommern, ist die Unsicherheit größer und eine separate Hitliste kaum möglich.
AL: Wenn wir Deutschland nur grob in Nord, Süd und Ost unterteilen – welche Babynamen kommen dir da 2022 als besonders typisch in den Sinn?
KB: Für Norddeutschland wären das zum Beispiel Ida, Ella und Henry. Dazu machen sich hier am ehesten skandinavische und friesische Einflüsse bemerkbar. Ein typischer Name im Süden, der auch wirklich sehr oft vorkommt, ist Sophia. In Bayern hinkt man gesamtdeutschen Namensmoden etwas hinterher, dort sind Lukas und Felix noch sehr häufig, die im restlichen Deutschland langsam an Beliebtheit verlieren, und sogar die Klassiker unserer Jugend Andreas und Michael gibt es dort noch öfter. Ein typischer Ostname ist Karl – wenn ich von einem Baby höre, das so heißt, würde ich einiges darauf wetten, dass es aus Sachsen stammt. Außerdem werden im Osten gern mal ungewöhnlichere Retronamen neu ausgegraben, solche wie Erwin, und es gibt, quasi als Gegenbewegung, mehr englischstämmige Namen als im restlichen Deutschland.
AL: Jetzt zu deinen diesjährigen Spitzenreitern: War es ein eindeutiger Sieg für Noah und Emilia?
KB: Im Fall von Noah ja. Das zeichnete sich schon beim allerersten Datenpröbchen ab, der Vorsprung zum Rest blieb bis zum Schluss erheblich. Bei Emilia und Mia ist der Abstand enger. Generell wäre meine Empfehlung, sich an der exakten Platzierung der Namen in der Hitliste nicht zu sehr „aufzuhängen“: Es macht nicht wirklich einen Unterschied für die Häufigkeit im späteren Umfeld eines Kindes, ob es den Namen von Platz 4 oder den von Platz 7 bekommt. Die Unterschiede sind gering und die häufigsten Namen ohnehin, wie ich immer sage, nicht mehr so häufig wie Eltern das vielleicht noch aus ihrer Jugend kennen.
AL: Mich fasziniert an deiner Auswertung immer wieder, wie einträchtig Gegensätzliches hier zusammenkommt: Auf Hailey folgt Marlene und gleich hinter Franz steht Aiden. Trotzdem: Konntest du einen besonderen Trend ausmachen, dem 2022 besonders viele junge Eltern gefolgt sind?
KB: Ja, Vornamen, die keine anderen Konsonanten haben als l, m und n und dazu einen sogenannten Hiat, werden immer häufiger. Hiat, das ist ein Begriff aus der Sprachwissenschaft und bezeichnet es, wenn Vokale aufeinandertreffen, die zu unterschiedlichen Silben gehören. Mia und Noah sind besonders typische Vertreter oder auch mein „Vorname des Jahres“ Leano. Auch Emilia und Sophia enthalten einen Hiat, Matteo, Elias, Leon und Theo, der es nach kontinuierlichem Aufstieg erstmals in die Top-10 geschafft hat. Wobei es Namen mit Hiat auch früher schon gab: Andreas, Matthias, Daniela …
AL: Noch zu Theo: Wundert dich der Erfolg dieses Namens? Immerhin wurde er lange mit Leuten wie Schauspieler Theo Lingen oder (den Augenbrauen von) Politiker Theo Waigel assoziiert …
KB: Das sind eben die Assoziationen von Leuten wie dir und mir. Wer heute um die dreißig ist, denkt an diese Männer nicht mehr. Der Abstieg des Namens Theodor, wie die meisten alten Theos richtig hießen, begann um 1920. Dass Namen nach rund hundert Jahren wieder populär werden, konnte ich schon in vielen Fällen beobachten. Dazu kommt, dass Theo eine Kurzform ist – was heute vielen gefällt –, und eben der Hiat.
AL: Gibt es denn überhaupt etwas in der Hitliste, über das du staunst?
KB: Kevin konnte sich um über vierzig Plätze verbessern. Aber das „Kevin-Bashing“ hat in letzter Zeit auch sehr nachgelassen. Die Kevins der Neunziger sind erwachsen, man lernt immer mal wieder einen kennen und stellt fest, das sind ganz vernünftige Männer. Was mich mehr überrascht, ist, dass der Name Layla keineswegs abgestürzt ist, wie ich es nach der Aufregung über den Sommerhit mit einer Layla aus dem Rotlichtmilieu erwartet hätte. Ich hätte meine Tochter in diesem Jahr auch für viel Geld nicht so genannt.
AL: Konntest du 2022 sonstige Einflüsse aus der Popkultur oder dem weltpolitischem Geschehen beobachten? Zum Beispiel aufgrund des Ukrainekriegs?
KB: Dem ersten Anschein nach sind slawische oder russische Namen weder unbeliebter noch häufiger geworden. Es ist auch nicht so, dass ukrainische Namen sich in der Statistik groß bemerkbar machen; es haben bislang von den Flüchtlingen immer noch verhältnismäßig wenige in Deutschland entbunden. Dagegen ist der Erfolg des Namens Hailey, der jetzt sogar die Top-50 geknackt hat, sicher auf dessen Präsenz in US-amerikanischen Serien und auf das Model Hailey Bieber zurückzuführen. Aufgefallen ist mir auch der Aufstieg von Nelio. Wie ich auf Instagram gelernt habe, heißt so der im Dezember 2021 geborene Sohn der YouTuberin Dagi Bee.
AL: Was hat sich in diesem Jahr rund um beliebte-vornamen.de noch Neues ereignet?
KB: In meinem Babynamenverzeichnis gibt es eine neue Kennzahl: Für jeden dort erfassten Namen erfährt man, wie viel Prozent der Kinder einen selteneren Vornamen haben. Mein Rechner lief neun Stunden, um das für alle erfassten Namen zu ermitteln. So kann man nun nachlesen, wenn man seine Tochter beispielsweise Annemarie nennen möchte, dass nur 20,7 Prozent der Kinder einen selteneren Vornamen haben – das schafft Vergleichbarkeit.
Neu ist auch, dass ich jetzt auf TikTok aktiv bin. Hier musste ich schon Gegenwind einstecken, weil ich angeblich zu viele Namen deutsch ausspreche, David statt „Däwid“. „Wie ein Lehrer, der kein Englisch kann“, hat einer mal gesagt (lacht). Kritische Reaktionen kenne ich aber auch sonst. So haben sich in diesem Jahr wieder etliche Leute darüber aufgeregt, dass ich auf beliebte-vornamen.de ihrer Ansicht nach falsche Namensbedeutungen aufführe oder eher, dass ich Namensbedeutungen, die sie anderswo gefunden haben, nicht bestätige. Dadurch, dass etwas von einer Seite zur anderen weitergereicht wird, wird es aber nicht wahrer. So wollte man mir weismachen, der Name Nala heiße in Suaheli „die Löwin“. Dafür gibt es aber keine seriöse Quelle, nur eben die Figur im „König der Löwen“. Natürlich ist es immer das Wichtigste, was sich Eltern bei der Namenswahl denken. Nur muss ich das nicht in mein Lexikon aufnehmen.
hey Knud, du schaust sympathisch in die Kamera. Habe fast die gleiche Jack Wolfskin Jacke xD
es freut dass du genau aufpasst welche Namen in welcher Statistik erfasst werden.
Namen deutsch auszusprechen ist doch in Ordnung, wir sind in Deutschland.
Eigentlich ist das gar nicht meine Lieblingsmode, aber eine Norwegen-Reise im Oktober wollte ich nicht ohne wetterfeste Kleidung wagen.
Nach dieser Überschrift erwarte ich, dass in Deutschland kleine Jungs als Hiat benannt werden. Immer dem Trend nach 🙂
Für Mädchen gibt es dann Hiata oder Hiate 😉
Immerhin hat der Hiat selbst einen Hiat 😉
Ihr habt meine Hintergedanken beim Formulieren durchschaut – Clickbaiting lässt grüßen 🙂
das war auch mein erster Gedanke
So, einmal im Jahr findet man Knud auch in der Tagespresse und es ist schon interessant auf welche Trends da das Interview zusammengedampft wird. Hiat ist nirgends zu lesen.
Und was mich wundert: Knud hat doch schon vor einigen Jahren orakelt, dass Theo im Jahr 2025 auf Platz 1 steht. Trotzdem wird fast jedes Jahr vom Aufschwung von Theo gesprochen. (Jep, einer von meinen Jungs heißt auch so und deshalb verfolge ich diesen Trend schon seit Jahren mit etwas gesteigertem Interesse.)
Über den Aufschwung von Theo wird jedes Jahr gesprochen, weil ich der Presse jedes Jahr erzähle, dass Theo im Aufwärtstrend ist, weil Theo jedes Jahr im Aufwärtstrend ist. Theos Trend ist sehr stetig und könnte fast mit einer mathematischen Funktion definiert werden. Das ist wirklich ungewöhnlich. Nur weil ich es vor Jahren vorausgesagt habe, muss es ja nicht passieren.
Was mich wundert: Woher weißt du, dass mein Interview mit der Presse-Agentur zusammengedampft wurde? Hörst du mich ab?
Ich denke, dass die Redakteurin der dpa den Hiat-Trend unterschlagen hat, weil es dem gemeinen Volk eher schwierig zu vermittelnder sprachwissenschaftlicher Nerd-Kram ist. Hier im Blog ist die Leserschaft solchen Themen aufgeschlossener, denke ich. Darum hat Annemarie es in diesem Interview drin gelassen.
Zusammendampfen ist total üblich bei Interviews. Ich habe sowohl mit Annemarie als auch mit der dpa-Redakteurin jeweils fast eine Stunde gesprochen und davon ist jeweils nur ein kleiner Teil veröffentlich worden. Die Drehzeit für einen dreiminütigen Clip fürs Fernsehen beträgt ein bis zwei Stunden!
Äh, das wardoch nicht böse gemeint….Ich fand es einfach interessant, den Unterschied zwischen den dpa Nachrichten und dem Interview hier zu lesen. Außerdem hätte ich nicht gedacht, dass es da soviel Interviews gibt, sondern dass eher dann von hier abgeschrieben wird…also sorry, wenn da mein kleiner Kommentar so missverstanden wurde…
Knud, heute stehst du auch in unserer örtlichen Tageszeitung, auf der ersten Seite. Aber nur ein kleiner Artikel, die ersten fünf Namen der Hitliste werden genannt … Emilia und Noah als Gewinner in der Überschrift.
Aber egal, ich sehe mir die Hitliste auch auf den hinteren Plätzen an, ist immer wieder interessant.
Zum Hiat: In meinem Umfeld wurde ein kleiner Lean geboren. Ich kannte Lean vorher gar nicht und habe mich darüber gewundert. Gerade bei Jungennamen sind die Vokale austauschbar … Lean, Leon, Lion, Liam, Luan … wobei Leon und Leo für mich richtige Namen sind.
Und bei Mädchennamen ist die Endung -ia sehr häufig (Emilia, Sophia, Julia, Victoria … die mag ich) – da fällt mir der Hiat gar nicht so auf.
Ich wünsche euch allen einen guten Rutsch ins neue Jahr!
Ich weiß von einem Teenager namens Lean, der auch schon mit der irrtümlich englischen Aussprache „Lien“ zu tun hatte. Dabei sollte es nur eine Kurzform von Leander sein.
Der Hiat-Trend ist interessant.
Ich spreche aber Sophia, Emilia und Daniela alle dreisilbig aus und nur Sophia mit einem Hiat. Die anderen beiden Namen spreche ich Emilja und Danjela (ebenso Danjel) aus. Gibt es eventuell regionale Unterschiede? Sehr viele Mädchennamen enden auf -ia und ich würde sagen, der Großteil wird -ja gesprochen.
Daniel spreche ich als Dani-el, aber Daniela als Danjela.
Bei Namen wie Julia, Patricia, etc spreche ich die Buchstaben getrennt: Juli-a
Eindeutig Emili-a, und auch Dani-ela, auch wenn letztere nur noch selten anzutreffen ist.
Ich würde sagen, es ist einfach Gewohnheitssache und möglicherweise regional beeinflusst.
Ich spreche z.B. Daniela und Emilia viersilbig, ebenso Sebastian, Antonia und Patricia.
Cornelia spreche ich dagegen dreisilbig aus (Cor-nel-ja)
Dreisilbig mit klingendem i spreche ich z.B. Daniel, Lydia, Lucia, Claudia, Christian, Florian, Fabian, …
Dagegen spreche ich z.B Julia und Silvia eher zweisilbig (Jul-ja, Silv-ja).
Bei mir hängt die für mich „richtig“ klingende Aussprache damit zusammen, wie ich die Namen kennengelernt bzw. zum ersten Mal gehört habe.
Ich spreche den Hiat so, dass man das i hört, man hört aber auch ein j – zumindest angedeutet.
Zum Beispiel:
Daniel = Danijel
Julia = Julija
Emilia = Emilija
Aber Julia = Julja habe ich auch schon gehört.
Wahrscheinlich ist es wirklich Gewohnheitssache … so wie man einen Namen kennengelernt hat.
Viele Hiat-Namen gefallen mir sehr gut, vor allem die längeren, mehrsilbigen Namen mag ich.