In meiner Schulzeit stand ich mehr oder weniger im Mittelfeld: Mein Mädchenname fing mit M an. Ob Zeugnisse ausgegeben wurden oder eine Lehrkraft auf den Coup verfiel, beim Abhören auswendig gelernter Sätze mal ganz am Ende der Klassenliste zu beginnen, für meine Wartezeit (oder Gnadenfrist) war das gehupft wie gesprungen. Nur wenn ausnahmsweise nach Vornamen sortiert wurde, wendete sich das Blatt.
Hosentaschenanrufe
Meine heutige Interviewpartnerin hat auf Namenslisten stets die Pole-Position: Sie heißt Aglaja und auch ihr Nachname, den sie nach ihrer Heirat behalten hat, beginnt mit A. „Deshalb bekomme ich ab und zu Hosentaschenanrufe“, erzählt sie. Hä? Nach der Erklärung muss ich grinsen. Mir selbst ist es ewig nicht passiert, dass mein Handy klingelt und ich mich gespannt melde, nur um am anderen Ende höchstens kryptische Umgebungsgeräusche zu hören. Wenn Leute ihr Telefon nicht gesperrt in die Hosen- oder Handtasche stopfen und es eigenständig Anrufe tätigt, kann das vorkommen. Meist trifft es dann die erste der eingespeicherten Nummern.
Aber bitte mit A
Aglaja kam 1981 in Bayern zur Welt. Auch in ihrem Zweitnamen („nach meiner Urgroßmutter“) spielt der erste Buchstabe des Alphabets eine tragende Rolle: Magdalena. Wie es mir schon früher (etwa in „Von Lieblingsbuchstaben und der Liebe“ und in „Die Mutter-und-Kind-Gleiche“) öfter aufgefallen ist, könnte hier der Name der Mutter gewisse Vorlieben geprägt haben: „Meine Mutter heißt Andrea. Als ich mit knapp drei Jahren eine Schwester bekam, hat sie gezielt nach noch einem Namen, der mit A beginnt, gesucht.“
Aus der Literatur
Aber zurück ins Jahr 1981: Aglaia ist (in dieser Schreibweise) in der griechischen Mythologie die Göttin der Anmut und hierzulande wohl mit Fug und Recht den seltenen Namen zuzuordnen. Wie kamen Aglajas Eltern – ein junges Paar im Raum München – darauf? „Sie waren damals noch im Studium, ich war nicht geplant. Meine Mutter musste sich in der Schwangerschaft sehr schonen und hat viel gelesen.“ Zu ihrer Lektüre gehörte der im Jahr 1869 zuerst erschienene Roman „Der Idiot“ von Fjodor Dostojewski. Darin kommt eine Familie mit drei Töchtern vor: Alexandra, Adelaida und Aglaja. „Diese Figur hat sie fasziniert“, so Aglaja, die das Buch selbst nie ganz geschafft hat. Auch der werdenden Papa war angetan.
Eine Attraktion
Kurze Nachfrage an meine junge russische Kollegin: Ist der Name noch heute in Russland geläufig? Ja, aber … ist die Antwort: „So heißen nur noch sehr alte Frauen.“ Aha. Im Umfeld von Aglajas Eltern war der Name ein unbeschriebenes Blatt: „Meine Großeltern haben ihn gut angenommen, und im Freundeskreis konnten ihn sich alle gleich gut merken. Als das erste Kind dort war ich ja sowieso eine kleine Attraktion“, sagt Aglaja und lacht. Zweiter Namensfavorit ihrer Eltern war Clara gewesen: „Auf dem Weg zum Gynäkologen hatten sie ihren alten Kadett immer in der Klarastraße geparkt.“
Doppelte Anmut
Für ihre Schwester sollte es dann noch mal das A sein. Die Wahl fiel auf Anja. Aglaja, Göttin der Anmut, gefunden in einem russischen Klassiker, und Anja, was als russische Variante von Anna „die Anmutige“ bedeutet – das passt fast zu gut zusammen. Und auch wieder nicht, weil der Name der Jüngeren so viel geläufiger ist. „Mir wurde oft erzählt, dass ich mitentschieden hätte“, sagt Aglaja. „Meiner Mutter war es wichtig, dass ich den Namen gut aussprechen kann.“ Findet sie, dass die Namen zu ihr und ihrer Schwester passen? „Ja, total“, kommt es spontan. „Ich kenne ja keine andere Aglaja, aber meine Schwester ist eindeutig die Praktischere von uns, und ich bin die Freigeistigere.“
Die falsche Haarfarbe
Aglaja muss ihren Namen oft buchstabieren und sieht ihn häufig mit y oder i geschrieben. „Das passiert sogar Kolleginnen immer wieder. Ich bin da aber nicht empfindlich.“ Was ihr nicht so gut gefällt, ist, wenn die Aussprache in Richtung „Aklaja“ geht. Komische Kurzformen, „Agli“ womöglich, habe zum Glück nie jemand genutzt. Alles im allem mag sie ihren Namen sehr und wollte auch nie anders heißen. Eine Sportlehrerin ist ihr in Erinnerung geblieben, die gestutzt und gemeint habe, sie stelle sich eine Aglaja schwarzhaarig vor. Ach ja? Wenn sie neue Leute kennenlernt, starten Gespräche oft damit, „dass ich meinen Namen erkläre. Oder mein Gegenüber rät, wo er wohl herkommt. Manche tippen auf die Türkei, andere – weil ich blond bin – auf Skandinavien.“
Aglaja hat zwei Kinder, die klassische Top-100-Namen tragen. Der des Sohnes stammt direkt von ihrem Opa, der der Tochter ist vom Namen ihrer Oma abgeleitet. „Ich wäre nicht abgeneigt gewesen, auch etwas Selteneres zu vergeben, aber es waren irgendwie keine anderen Namen dabei, die uns wirklich überzeugt hätten.“
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Aglaja Stadelmann ist eine Schauspielerin am Pfalztheater in Kaiserslautern, daher kenne ich den Namen.
Adelaida finde ich tatsächlich sehr hübsch. Kommt auf die Zweitnamensliste.
Als ich „der Idiot“ gelesen habe, habe ich gedacht: Eine vierte Schwester hätte Anastasia heißen können.
Adelaida mag ich in der russischen Aussprache auch sehr gern. Ich denke dabei auch an dieses Lied: https://www.youtube.com/watch?v=a0nZ7uh7-8o (Akwarium – Adelaida)
Es gibt eine österreichische Schauspielerin mit Namen Aglaia Szyszkowitz. Daher kenne ich den Namen.
Das erste Mal gelesen habe ich den Namen als Kind. Eine Schauspielerin aus „Die Pfefferkörner“ (1. Generation) heißt Aglaja Brix.
Aglaia und Ariadne gehörten mal zu meinem Repertoire an Namen für Geschichten. Aglaia (würde ich eher mit i schreiben) oder auch Aglaja hat schon was an sich, was mir gefällt – zwar nicht so sehr, dass ich ihn vergeben würde, aber ich finde ihn ganz gut. Aglaia Magdalena gefällt mir auch zusammen – auch besser als Clara Magdalena. Etwas viel a vielleicht.
Aha, ich ahne, welche Aglaja das ist und woher du sie kennst 😉 Ich hatte den Namen irgendwann in den letzten Monaten entdeckt und auch bei den Namensfundstücken erwähnt. Es dürfte sich ziemlich sicher um dieselbe Aglaja handeln, eine Kollegin meiner ehemaligen Freundin.
Ein wunderschöner Name, wirklich. Würde ich auch vergeben, sollte ich je die Gelegenheit haben. Und ein interessantes Interview.
Ah, endlich erscheint mal Beitrag zu dem schönen und seltenen Namen Aglaja. So hieß auch eine Kindheitsfreundin der österreich-ungarischen Kaisertochter Marie-Valerie, die allerdings überwiegend in der französischen Form des Namens genannt wurde: Aglae von Auersperg. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass Vornamen aus dem süd-/osteuropäischen Raum in diesem Forum bisher weniger Beachtung finden. Über weitere Beiträge dazu würde ich mich freuen. Insbesondere auch zu dem schönen Namen Ladislaja.
Man muss ja auch erstmal Personen finden, die den entsprechenden Namen tragen. Bis zufällig eine Ladislaja des Weges kommt, die auch noch interviewt werden möchte, kann es dauern. Das haben seltene Namen ja so an sich, dass man nur wenigen Namensträgern begegnet 😉