Rivalen der Vornamenstatistik

Das mit den Vornamenstatistiken ist in Deutschland ziemlich kompliziert und ich bin auch ein bisschen Schuld daran.


Vor 1977 war die Vornamen-Welt noch völlig in Ordnung, es gab nämlich überhaupt keine Auswertung von Deutschlands beliebtesten Babynamen. Seit 1977 veröffentlicht die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) jedes Jahr so eine Rangliste, hier die jüngste Auswertung für den Geburtsjahrgang 2015:

Mädchen Jungen
  1. Sophie/Sofie
  2. Marie
  3. Sophia/Sofia
  4. Maria
  5. Mia
  6. Emma
  7. Hannah/Hanna
  8. Emilia
  9. Anna
  10. Johanna
  1. Maximilian
  2. Alexander
  3. Elias
  4. Paul
  5. Leon/Léon
  6. Louis/Luis
  7. Ben
  8. Luca/Luka
  9. Noah/Noa
  10. Jonas

Kompliziert ist es seit Anfang 2007, als meine eigene Auswertung der in Deutschland am häufigsten vergebenen Vornamen erstmals ein großes Medienecho erzeugte. Seitdem steht die berechtigte Frage im Raum, warum ich andere Vornamenhits ermittle als die GfdS. Die plausible Antwort: Es liegen verschiedene Auswertungsmethoden zugrunde. Während ich für meine Vornamenhitliste nur den ersten Vornamen der Neugeborenen zähle, berücksichtigt die GfdS alle Vornamen. Ein Baby mit nur einem Vornamen gelangt einmal in die GfdS-Auswertung, ein Baby mit fünf Vornamen fünfmal.

Diese Einsicht sorgte für Unzufriedenheit bei den Sprachwissenschaftlern der GfdS, denn es wurde unverhofft die Legitimität ihrer Arbeit diskutiert. Nicht nur Wissenschaftler stellten in Frage, ob die Herangehensweise des Vereins klug sei. Als Konsequenz soll den GfdS-Mitarbeitern angeblich sogar der Umgang mit mir verboten worden sein (inzwischen gilt diese Anweisung nicht mehr). Im April 2012 erschien in der GfdS-Hauszeitschrift „Der Sprachdienst“ ein absurder Artikel mit einer Geringschätzung meiner Auswertung. Der Verfasser schämt sich vermutlich heute noch für seine lächerliche Behauptung, dass nicht festgelegt sei, was ein Erstname überhaupt ist.

Rivalen © shockfactor.de - fotolia.com
Grafik © shockfactor.de – fotolia.com

Ich komme gut damit zurecht, dass es in Deutschland zwei anerkannte Vornamenhitlisten gibt. Die GfdS möchte wohl als Herausgeber der einzig wahren Vornamenstatistik gelten und weil das Schlechtmachen des Rivalen nichts gebracht hat geht sie jetzt den lobenswerten Weg des Gutmachens des eigenen Werks. Das gelingt vor allem durch die Ausweitung der Datenbasis: Die 1977er Auswertung basierte auf einer kleinen Stichprobe von einzelnen Standesämtern; für die 2015er Auswertung standen Informationen von 650 Standesämtern zur Verfügung, was über 90 Prozent der vergebenen Vornamen ausmacht. Für meine Vornamenhitliste habe ich 512 verschiedene Quellen ausgewertet und konnte so die Vornamen von 26 Prozent aller in Deutschland geborenen Babys berücksichtigen.

Der neueste Streich der GfdS ist eine Überraschung; die Sprachwissenschaftler haben meine Methode kopiert und ihre eigene Erstnamenstatistik produziert. Zum Vergleich habe ich deren und meine Ergebnisse gegenübergestellt:

Mädchennamen 2015

GfdS Knud Bielefeld
  1. Mia
  2. Emma
  3. Hannah/Hanna
  4. Sophia/Sofia
  5. Anna
  1. Mia
  2. Emma
  3. Hannah/Hanna
  4. Sophia/Sofia
  5. Anna

Jungennamen 2015

GfdS Knud Bielefeld
  1. Jonas
  2. Maximilian
  3. Ben
  4. Luca / Luka
  5. Leon
  1. Ben
  2. Jonas
  3. Leon
  4. Elias
  5. Finn / Fynn

Die Übereinstimmung bei den Mädchennamen finde ich beeindruckend. Ich hatte mit einer ähnlichen Abweichung wie bei den Jungennamen gerechnet, weil der Verein für seine Erstnamenstatistik keineswegs auf den oben erwähnten Datenbestand von 90 Prozent aller Vornamen  zurückgegriffen hat, sondern auf eine viel kleinere Stichprobe. Die genaue Größe dieser Stichprobe wurde nicht veröffentlicht, was ich als Hinweis deute, dass sie signifikant kleiner ist als meine Stichprobe – andernfalls hätte die GfdS diesen Trumpf ausgespielt!

3 Gedanken zu „Rivalen der Vornamenstatistik“

  1. Interessant!

    Finde, Du stellst sehr klar da, welche Statistik wie erarbeitet wird.

    Vermute ebenfalls, dass Deine Erstnamenstatistik auf einer größeren Datensammlung beruht. Für mich sind Deine Auswertungen auf jeden Fall am aussagekräftigsten. Schön wenn sich die GfdS in Richtung Deiner Methodik bewegt.

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  2. Diese Einsicht sorgte für Unzufriedenheit bei den Sprachwissenschaftlern der GfdS, denn es wurde unverhofft die Legitimität ihrer Arbeit diskutiert.

    Das ist natürlich ein Skandal, wenn die Verlautbarungen einer hochmögenden wissenschaftlichen Standesorganisation auf einmal zwar nicht, horribile dictu, offen kritisiert werden, aber doch Konkurrenz bekommen, die wiederum sogar ein Presse-Echo hervorruft. Wo kommen wir da hin?! 😉

    Wissenschaftler sind immer eitel und rechthaberisch, Sprachwissenschafter sind es im besonderen und die GfdS offenbar im ganz besonderen.

    (Freilich bin ich gegenüber der GfdS aus anderen Gründen voreingenommen, hatte ich ja vor ein paar Tagen erklärt.

    Ich finde Deine Methode auch besser, weil es Namen gibt, die sehr oft als Zweitnamen vergeben werden (eben Sophie, Marie und Maria), die dann bei der GfdS zwangsläufig auf den ersten Plätzen landen, obwohl das irgendwie nicht stimmt. Zwar ist bei mir selbst der zweite Vorname der Rufname – ich bin aber in der Rufnamen-unterstreiche-Zeit geboren. Und schon da war das selten, heute dürfte es noch seltener sein. Und es scheint mir absurd, einen Dritt- oder Viertnamen genauso zu gewichten wie den Erstnamen.

    Was ich an dieser Website übrigens besonders reizvoll finde, sind die historischen Vornamenshitlisten seit Anno Dazumal. Wirklich eine spannende und schöne Lektüre, auch und gerade im Familienkreis mit mehreren Generationen. 🙂

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  3. Ich find es gar nicht mal so schlecht, beide Varianten zu haben.
    Wenn man wissen will, welche Rufnamen wahrscheinlich grade oft unter kleinen Kindern und Babys auftauchen, dann ist die Liste von Herrn Bielefeld besser.

    Interessiert man sich aber nur dafür, welche Namen bei Eltern im allgemeinen Beliebt sind, dann ist die Liste von der Gesellschaft für deutschen Sprache sehr interessant.
    Es gibt nämlich auch unter den zunamen Trends und das wird deutlich!
    Sofie, Marie und Julia sind in meiner Gegend beliebte Zweitnamen.
    Nur ein Beispiel.
    Es kann aber sein, dass die Eltern nur in Knuds Liste gebückt haben, Julia ganz weit hinten stand und dachten: mega!
    Aber in der Liste vom gds hätten die Eltern bemerkt, dass auch dieser Name beliebt ist.
    Ich hab wirklich keine Ahnung wo Julia ist in der Statistik, aber so oder Ähnlich stelle ich es mir als Szenario vor.
    Außerdem ist bei vielen Menschen gar nicht der Erstname der Rufname!
    Ein Kumpel von mir hat drei Namen:
    Conrad Till Benjamin.
    In Knuds Statistik wäre nur Conrad drin.
    In Wahrheit wusste er bis zur zweiten Klasse nicht mal, dass er Conrad heißt.
    Die Eltern hatten seinen vollen Namen mal erwähnt, aber er hatte es sich nicht gemerkt, weil eh alle nur Till gesagt haben. Aber in der zweiten Klasse hatten wir dann so eine beknackte Vertretungslehrerin, die der festen Überzeugung war, jedes Kind mit dem ersten Namen ansprechen zu müssen. Till, ihr vermeintlicher „Conrad“ wurde also drei Wochen als fehlend eingetragen.
    Und Tim, der als krank gemeldet war und mit Lungenentzündung vier Wochen im KH lag, war immer als anwesend eingetragen. Die Frau dachte allen ernstes, Till wäre Tim und nur zu blöd seinen Namen auszusprechen.
    Als das aufgeflogen ist, gab es erstmal riesiges Gemecker über die Ignoranz der Lehrerin.

    Naja, egal was damals war, ich finde es praktisch, zwei Möglichkeiten zu haben um nach Namenstrends zu gucken!

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