Die Namensvorlieben von Commissario Brunetti

Da musste ich mich durch 16 Bände der Commissario Brunetti-Krimiserie von Donna Leon arbeiten, bis ich endlich in Band 17 „Das Mädchen seiner Träume“ eine Textstelle gefunden habe, in der es um Vornamen geht:


[Signorina Elettra] sagte nur: „Geben Sie mir bitte die vollständigen Namen der Eltern?“

[Commissario Brunetti antwortet:] „Giorgio Fornari und Orsola Vivarini“

Beim zweiten Namen entfuhr ihr ein: „Oje, oje!“

„Sie kennen Sie?“ fragte Brunetti gespannt.

„Nein, aber ich wüsste wirklich gern, wie die Frau, die selber schon mit dem Namen Orsola geschlagen ist, ihre Tochter Ludovica taufen kann.“

„Eine Freundin meiner Mutter hieß Italia“, sagte er. „Sie kannte auch etliche Benitos, eine Vittoria und sogar eine Addis Abeba.“

„Andere Zeiten“, meinte sie. „Oder eine andere Generation, die auffallen will um jeden Preis, auch mit den Namen ihrer Kinder.“

Brunetti, der schon Leute mit Namen wie Tiffany, Hillary und Sharon festgenommen hatte, konnte ihr nur beipflichten. „Meine Frau hat mal gesagt, wenn eines Tages die Hauptfigur einer amerikanischen Seifenoper Pig Shit heißt, dann können wir uns auf eine ganze Generation davon gefasst machen.“

Quelle: Donna Leon – „Das Mädchen seiner Träume“, Diogenes Verlag (2009), ISBN 978-3257066951

Angesichts der Tatsache, dass die Romanhandlung in der italienischen Stadt Venedig angesiedelt ist, scheinen die kritisierten Vornamen gar nicht so eigenartig zu sein, oder? Nun gut, Addis Abeba als Name der Hauptstadt von Äthiopien ist wohl kein typisch italienischer Name. Und seitdem der faschistische Diktator Benito Mussolini in Italien herrschte, wird der Vorname Benito in Italien wahrscheinlich ähnlich gering geschätzt wie Adolf in Deutschland.

Aber warum Donna Leon die Namen Orsola, Ludovica und Vittoria an den Pranger stellt, kann ich nicht nachvollziehen. Orsola ist die italienische Variante von Ursula, bei Ludovica handelt es sich um eine italienische weibliche Abwandlung des Namens Ludwig. Vittoria als italienische Form von Viktoria wirkt auch unverdächtig. An Giorgio, der italienischen Entsprechung von Georg, hat auch die Autorin anscheinend nichts auszusetzen. Sind diese Namen vielleicht einfach unmodern?

Doch welche Vornamen findet Donna Leon angemessen für rechtschaffende Venezianer? Offensichtlich Guido, denn so hat sie die Hauptfigur ihrer Krimireihe genannt; auch Chiara und Raffaele sind gut angesehen –  so heißen die Kinder von Commissario Guido Brunetti.

Übrigens: 1993 ist der erste Commissario Brunetti-Roman in Deutschland erschienen – im gleichen Jahr machte der Vorname Chiara einen riesengroßen Sprung in der deutschen Babynamenhitliste.

3 Gedanken zu „Die Namensvorlieben von Commissario Brunetti“

  1. „Vittoria als italienische Form von Viktoria wirkt auch unverdächtig.“

    Ich möchte hierzu anmerken, dass Vittoria im Italienischen allerdings auch das ganz normale Wort für „Sieg“ ist. Wahrscheinlich kam der Autorin das merkwürdig vor.

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  2. „Aber warum Donna Leon die Namen Orsola, Ludovica und Vittoria an den Pranger stellt, kann ich nicht nachvollziehen. Orsola ist die italienische Variante von Ursula, bei Ludovica handelt es sich um eine italienische weibliche Abwandlung des Namens Ludwig. Vittoria als italienische Form von Viktoria wirkt auch unverdächtig.“

    Orsola ist derzeit in Italien ebenso aus der Mode wie Ursula bei uns, mit Ludovica ist das ganz genauso.

    Mit Vittoria hat Moni vielleicht recht, allerdings ist dieser Name in ganz Italien durchaus gebräuchlich und wird nicht unbedingt mit dem Begriff für „Sieg“ in Verbindung gebracht. Wo im Roman steht denn etwas Negatives über den Vornamen Vittoria?

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