Mein seltener Name und ich: Anazuita

Mein seltener Name und ich

Meine heutige Interviewpartnerin kann sich mit drei ganz verschiedenen Vornamen identifizieren. Nur einen davon trägt sie seit ihrer Geburt. In den über sechs Jahrzehnten ihres bisherigen Lebens – sie kam 1962 zur Welt – hat sie auch schon auf weitere Namen oder Namensvarianten gehört. Mal mehr, mal weniger gern.


Die Einzige auf der Welt

Name Nummer eins ist Anazuita, gesprochen „Anna-suita“. Weil ihr dieser Vorname, den ihre Eltern ihr gegeben haben, besonders am Herzen liegt, hat Anazuita sich an beliebte-Vornamen.de gewandt: „Mit hoher Wahrscheinlichkeit bin ich bis dato die Einzige auf der Welt, die so heißt. Ich fände es schade, wenn der Name verlorenginge.“ Also, an uns soll‘s nicht liegen!

Anazuita wurde als Kind ungarischer Eltern im damaligen Jugoslawien, heute Serbien, geboren. Dass Namen, insbesondere deren Schreibweise, nicht immer in Stein gemeißelt sind, hatte ihre Mutter bereits erfahren: „Aus ihrem Namen, Anna, wurde dort Ana. Auch ihr Nachname wurde anders geschrieben, was immer mal wieder für Probleme gesorgt hat, weil Papiere nicht übereinstimmten.“ Die Namensgeschichte der Mutter setzt uns auch bei der Untersuchung des Tochternamens auf eine interessante Spur. Es handelt sich aber um weit mehr als eine Nachbenennung. Eine solche wäre auch nicht im Sinne der Mutter gewesen. Doch dazu später mehr.

Ungarn trifft Italien

Eine Romantrilogie aus Italien, ein historischer Stoff verpackt in drei dicken Bänden, gab den Anstoß zur Vornamenswahl. Die Heldin des Buches hatte es der werdenden Mutter besonders angetan. Sie trug … Überraschung: den italienischen Vornamen Annunziata, „die Angekündigte“. Genau der Name sollte es eben nicht sein, sondern eine davon beeinflusste Neuschöpfung, „wirklich etwas Besonderes.“ Das Eintragen des selbst erdachten Namens beim Standesamt verlief ohne Probleme.

Anazuita hat die Bücher, die nie auf Deutsch erschienen sind, vermutlich vergriffen sind oder sogar verboten (?) wurden, da ist sie sich nicht ganz sicher, nie selbst gelesen. Sie besitzt eine Ausgabe in ungarischer Sprache, aber: „Ungarisch zu lesen fällt mir schwer.“ Sie weiß: „Die Romanfigur ist eine Kämpferin, die sich für die Liebe, ihre Familie, das Überleben einsetzt.“

Kein Facebook-Fake

Wie lebt es sich mit einem Namen, den buchstäblich niemand kennt, kennen kann? „Ich bin schon Millionen Mal nach meinem Namen gefragt worden. Wie man ihn schreibt, wie man ihn spricht, woher er kommt. Bei Facebook musste ich mich schon mehrfach ausweisen, weil mir nicht geglaubt wurde, dass das wirklich mein Name ist und keine Fake-Identität.“

Varianten ihres Namens, davon abgeleitete Kurzformen und andere Spitznamen hat Anazuita schon sehr viele gehört. „Ich reagiere auf fast alles, außer wenn es beleidigend wird. Vielen Leuten fällt es schwer, sich meinen Namen zu merken. Einige bleiben auch einfach bei einer Form, die sie selbst besser finden, obwohl sie wissen, dass sie falsch ist.“

Ein zweiter Name …

In der Grundschule wurde sie eine Zeitlang Anna genannt. „Das hat meiner Mutter nicht gefallen. Anna, das war ja sie.“ Schon sehr früh hatte sich in der Familie zudem ein zweiter Name für Anazuita etabliert, Babi, „das klingt bei uns so ähnlich wie Bobby und ist in Ungarn ein Kosename für kleine Mädchen. Meine Großmutter hat sich geweigert, mich Anazuita zu nennen. Wenn ich lieb war, war ich ‚Bobby‘ und wenn ich etwas angestellt hatte, rief meine Mutter den richtigen Namen. Sie konnte dabei sehr laut werden, die Haare standen einem zu Berge.“

Auch sonst hat Anazuitas Name für sie „etwas Ernstes“, obwohl sie ihn zugleich sehr schön findet. Als sie sechs Jahre alt war, zog die Familie nach Deutschland: „Mein Papa war Gastarbeiter bei Ford.“

… und ein später Zweitname

Name Nummer drei kam hinzu, als Anazuita mit über 20 kurz vor ihrer Heirat stand. „Ich habe mich vor der Hochzeit taufen lassen und meine Tante hat dabei ohne Rücksprache Erzsébet, also Elisabeth, als Zweitnamen in die Taufurkunde eintragen lassen.“ Daraus wurde im Freundeskreis dann Lisa. „Wenn ich mich heute privat jemandem vorstelle, eigentlich immer als Lisa. Lisa, ‚Bobby‘, Anazuita, das bin alles ich.“ Lisa ist auch nah an dem Namen, den Anazuita schon als Kind toll fand: „Ich mochte immer Lara sehr gern.“

Anazuita hat drei Kinder. Lara heißt allerdings keines. Die Wahl fiel auf Daniel, Carolyn und Catharina. „Mir war wichtig, dass man die Namen in vielen Ländern gut versteht.“

„Ich bin das Einhorn“

Wunderschön und stark, erhaltenswert, aber auch etwas anstrengend: Anazuitas Fazit zu ihrem Geburtsnamen fällt ambivalent aus. Für sich passend findet sie ihn schon: „Ich bin eine Macherin, das wurde mir mit dem Namen quasi in die Wiege gelegt.“ Sie engagiert sich in vielen Bereichen. Allerdings, das zu betonen ist ihr wichtig: „Was ich bewege, bewege ich immer mit anderen zusammen.“

Etwas Besonderes sein, aus der Reihe tanzen, das wollte sie nie. „Wenn ich meinen Namen nenne, gibt es eigentlich immer Fragen“, sagt sie. „Ich muss ein Stück meines Privatlebens offenlegen, ein Türchen aufmachen. Eine Silke oder Yvonne muss das nicht.“ Besonders als Teenager hat sie das gestört. Oder, wie sie es auch formuliert: „Mit meinem Namen bin ich immer das Einhorn.“ Bewundert, angezweifelt, manchmal ins Lächerliche gezogen. Ein Fabeltier auf der Pferdekoppel.

12 Gedanken zu „Mein seltener Name und ich: Anazuita“

    • Mich hat das Ende -zuita an den Namen Suitbert denken lassen, den ich eigentlich nur als Heiligennamen vom Abreißkalender kenne.

  1. Wegen des Namens ungewollt ein Stück des Privatlebens offenlegen – ich kann mir gut vorstellen, dass das sehr belasten kann.

    An anderer Stelle hatte mal eine Journalistin ihre eigene Erfahrung mit ihrem ungewöhnlichen Vornamen („Aber wie heißt du wirklich?“) mit dem rassistischen „Aber woher kommst du wirklich?“ verglichen. Damit werden Menschen regelmäßig konfrontiert, nur weil sie anders aussehen als die meisten hierzulande. Und tatsächlich, auch damit wird man herausgefordert, mehr vom Privatlebens offenzulegen, als man vielleicht möchte.

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  2. Meine Schwester hat im Gegensatz zu mir auch einen seltenen Namen bekommen, der oft zu der Rückfrage führt ob sie wirklich so heisst, wie ihre Eltern darauf gekommen sind etc. Sie findet es unangenehm, immer wieder aufzufallen und die gleichen Fragen zu beantworten. Ihre Tochter hat daher bewusst einen häufigen Namen (Lilly), da wird höchstens nach der Schreibweise gefragt und nicht nach der Lebensgeschichte.

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  3. Finde es ist ein schöner Name. Hat etwas besonders Edeles, Mutiges und Starkes. Erinnert mich an die Disney-Geschichte von Mulan. An den Satz mit der Blume : „Die Blume, die in der Not blüht, ist die seltenste und schönste von allen.“
    Stelle es mir aber auch als Belastung vor, jedesmal, wenn man seinen Namen nennt, auch einen Teil seiner persönlichen Geschichte direkt offenlegen zu müssen.
    Trotzdem finde ich den Namen sehr schön und er liest sich wie eine Melodie.

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  4. Meine Kinder haben z.T. auch weniger geläufige Namen, daher kenne ich diese Fragen.
    Herkunft u. Bedeutung lässt sich ja sachlich u. neutral beantworten, u. findet man ansonsten auch auf diversen Vornamenswebsites etc.
    Alles Weitere beantworte ich idR unverfänglich mit „hat uns einfach gefallen“. Natürlich haben bei der Namenswahl sehr viel mehr Aspekte mit hineingespielt, aber so detailliert ist die Frage vermutl. meist gar nicht gemeint.

    In Anazuitas Fall könnte man ja auch einfach mit „ist von Annunziata abgeleitet“ antworten u. fertig, wenn man nicht privater werden möchte.
    Mit dem rassistischen „Aber woher kommst du wirklich?“ würde ich es nicht auf eine Stufe stellen.

    Dass Anazuita ausgedacht ist, wäre mir gar nicht aufgefallen. -ita hätte ich für das spanische Diminuitiv gehalten. Oder an indischen Frauennamen ist mir diese Endung ebenfalls öfter begegnet.

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    • Sehe ich auch so. Wir sind in letzter Zeit auch öfter gefragt worden, wie wir denn auf DEN Namen gekommen sind. Ich sage dann immer „wir haben lange gesucht.“ danach kamen bislang keine Rückfragen mehr. Ich erzähle dann auch nicht jedem, was der Name für uns persönlich bedeutet, dass wir ihn am passendsten fanden.

      Es ist aber sicherlich auch eine Typfrage, wie man mit solchen Nachfragen umgeht.

  5. Interessante Namensgeschichte. Ich hätte auf einen indischen Namen getippt, weil mixh die Endung an „Sanguita“ erinnert hat. Eine solche (in den 70er Jahren geboren) ist mir mal begegnet. Den Namen hatte ihr Vater, soweit ich mich erinnere, aus Indien mitgebracht, wo er als Entwicklungshelfer gearbeitet hat.

    Eine Anunziata (geboren in den 2000er Jahren, Schreibweise weiß ich nicht sicher) ist mir auch dchon begegnet.

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  6. Da ich den Link auf Instagram gesehen habe, bin ich dem gefolgt und hab festgestellt, das sie ja wirklich so heisst. Und nachdem ich es in die Googlesuche eingegeben habe, stellte ich fest, es ist ja wirklich so. Sie ist da wirklich die Einzige. Wow!

    Mit Sicherheit ist der Name nicht einfach auszusprechen, aber er klingt trotzdessen richtig schön.

    Ein toller Vergleich ist der mit dem Einhorn. Mit so einem Namen ist man ein lebendiges echtes Einhorn. Und lt. Googlesuche ein schönes und engagiertes. Vielleicht machen seltene schöne Namen aus Kindern auch selten schöne Menschen. Und dies beziehe ich nicht nur auf das Äußere. Es formt sich der Gedanke in mir, dass mit einem ausgefallenen Namen man zwar vielen Steinen und Problemen auch ausgesetzt ist, aber wenn man die alle gut meistert, wächst man, wie ein Blume und blüht intensiver. Also ein echtes Fabelwesen in der Pferdekoppel, die die Welt verzaubert.

    Hab eine Freundin, die kommt auch aus Ungarn, die heisst „Zita“ welches auch als Sita ausgesprochen wird. Das ist eine Abkürzung von Felicitas ( Glück, Fruchtbarkeit).

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  7. „Wir haben lange gesucht“ ist auch eine gute Rückmeldung, Tiffy.

    Ich wurde und werde auch regelmässig nach meinem Namen und meiner Herkunft gefragt. Manchmal antworte ich kurz und manchmal ausführlicher, je nach Stimmung. Aber ich frage die Frage sicher immer zurück. Dann darf die Person selbst entscheiden, ob sie ihre eigene Frage indiskret fand. Das kann zu einem netten Gespräch werden oder ist dann schlichtweg seltsam, aber damit muss mein Gegenüber dann eben leben 🙂

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