Brauchen Jungen einen Vornamen?

Brauchen Jungen einen Vornamen?

Die ernstgemeinte Antwort vorweg: Natürlich brauchen Jungen einen Vornamen. Jeder Mensch braucht einen Namen, ob männlich, weiblich oder divers. Namen sind ein Teil von uns, machen uns zu denen, die wir sind. Unseren Vornamen behalten wir im besten Fall unser Leben lang. Daher wählen werdende Eltern den Namen ihres Babys sorgfältig aus, wälzen Vornamensbücher, Babynamenseiten, erstellen Namenslisten etc. Wenn ich allerdings die Gespräche meiner Schülerinnen und Schüler mitbekomme, könnte man sich die Mühe eigentlich sparen. Hier ein paar Beispiele (die Namen habe ich selbstverständlich geändert). Während meiner Pausenaufsicht liefen zwei Oberstufenschüler an mir vorbei, die sich aufgeregt über die Klassenfahrt unterhielten:


„Jo, Digga, schon gehört?“
„Ja, voll schlimm, Digga, dass Lino nicht mit kann.“
„Echt, Digga. Zum Glück ist es nicht uns passiert.“
„Ja, Digga. Ich freu mich voll.“
„Digga, das wird so krass.“

Abgesehen von dem armen Lino, der wohl krankheitsbedingt nicht teilnehmen konnte, habe ich keine Ahnung wie die beiden Jungen heißen, wobei Jo-Digga ja eine hippe Variante von Johann-Dieter sein könnte 😉. Neben „Digga“ gibt es selbstverständlich auch die Bezeichnungen „Alter“ und „Mann“. Solche Gespräche kommen ganz ohne Namen aus. Natürlich reden nicht alle so. Dann gibt es noch die beinah klassische Variante, die seit Jahrzehnten in Klassenzimmern Gang und Gebe ist: die Anrede mit dem Nachnamen. Philipp Berger wird Berger gerufen, aus Christian Hohenstein wird Steini und Valentin Schönau ist eben der Schönau. So werden sie nicht nur von Freunden gerufen, sondern meistens von der ganzen Klasse. Das geht dann so weit, dass man manchmal vergisst, dass Brunni eigentlich Hanno Brunnbach heißt.

Vergesst das Suchen

Vergesst daher das monatelange Suchen nach dem perfekten Vornamen, das Streiten darum, ob man Louis oder lieber Luis schreiben sollte und ob Paul Henry vielleicht doch zu häufig sein könnte. Wer braucht schon einen harmonierenden Zweitnamen, wenn doch nicht mal der Erstname zum Einsatz kommt? Achtet lieber darauf, dass euer Sohn einen vernünftigen Nachnamen bekommt. Vielleicht sogar einen Nachnamen, der ein Vorname ist?

Aber was tun, wenn man nun wirklich nicht möchte, dass sein Kind von allen nur Biermann genannt wird? Schließlich kann man die Spitznamen der eigenen Kinder nur bis zu einem gewissen Alter mitbestimmen (oder es zumindest versuchen). Was also tun, wenn man sich wünscht, dass der Vorname des Sohnes auch außerhalb der Familie Verwendung findet?

Anti-Spitznamen

Denn für alle, die jetzt ein leichtes Gefühl der Panik verspüren: es gibt auch viele Jungen, die nicht mit dem Nachnamen angesprochen werden. Ich glaube, ich habe für diese Jungen die ein oder andere Gemeinsamkeit gefunden. Da gebe es die Vornamen, die eine typische Abkürzung sind. Manuel wird nur Manu gerufen, Florian Flo, Maximilian Max oder Maxi (aber nie Maxim oder Milian) und Tobias und Oliver werden immer Toby und Olli genannt. Für Anti-Spitznamen-wenn-das-Kind-doch-einen-vernünftigen-Vornamen-hat-Freunde hätte ich noch einen anderen Vorschlag: einfach gleich einen Kurznamen wählen, denn auch Max, Tom, Tim oder Ben werden meistens mit ihrem Vor- und nicht mit dem Nachnamen angesprochen (übrigens, ein Benjamin oder Benedikt wird entweder mit dem Nachnamen oder mit Benni angesprochen und niemals mit Ben, zumindest hier nicht). Aber auch dreisilbige Namen können hilfreich sein, den meistens sind es zweisilbige, Gehen-immer-Vornamen, die dazu führen, dass man eben nicht mit diesem gerufen wird. Dreisilber führen hingegen entweder zu den oben erwähnten Abkürzungen oder werden einfach mit allen Silben gerufen. Die aktuellen Top 100 gebe da einiges her zum Beispiel: Matteo, Elias, Jonathan, Leonard oder Valentin. Und für alle, die auf Nummer sicher gehen wollen: Jo-Digga wäre ja noch eine Option.

18 Gedanken zu „Brauchen Jungen einen Vornamen?“

  1. Das ist ein spannendes Thema und auch sehr interessante Beobachtungen bezüglich der Vornamen, die dieses Schicksal ereilen können.
    Ich kann aus meiner eigenen Schulzeit allerdings nicht bestätigen, dass zweisilbige Namen eher zu einem Nachnamen-Spitznamen führen. Stattdessen waren es bei uns ausschließlich die Namen, die in einer Klasse mehrfach vorkamen, egal ob Jan, Andre, Florian oder Tobias.
    Und auch bemerkenswert: das Nachnamen -Schicksal befiel bei uns auch die 5 Mädchen namens Julia, die dann einfach „die Meier“ genannt oder mit „Hallo Buchholz“ begrüßt wurden. Es trifft also nicht nur Jungs! Das alles hat in mit den starken Wunsch ausgelöst, bei meinen zukünftigen Kindern die Top20 der Babynamen zu meiden.

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    • Sehr interessant, dass auch die Mädchen betroffen waren.
      In meiner eigenen Schulzeit wurde wohl eine Mitschülerin, bevor ich in die Klasse kam, mit dem Nachnamen plus ein i hintendran genannt (so was wie Kaisi, wenn der Nachnamen z. B. Kaiser war). Da diese aber nicht so genannt werden wollte, wurde sie dann mit Vornamen gerufen.

      Doppelte Namen gibt es auch in meinen Klassen, die werden tatsächlich gleich gerufen. Sie wissen meistens, wer gemeint ist 🙂

  2. Digga bzw. Digger kenn ich auch als Namenssuffix: Linusdigga, Moritzdigga, …
    Hab sogar einen Freund Mitte 30, der mich vorzugsweise Digger nennt, weil er meinen Vornamen nicht leiden mag (**Spoiler-Alert** Echtnamen-Reveal: Sebastian).

    Als Alternativ-Anreden kenne ich dann noch Bro, Brudi, Bruda, Junge und natürlich Alter/Alda. Weibliche oder geschlechtsneutrale Pedants wüsste ich (im Deutschen) aber auch nicht, außer vlt die Pluralansprachen wie Leute oder Mädels. Wenn man eine Frau als „Dicke“ oder „Alte“ anspricht, klingt das halt sofort sehr abwertend…

    „Nachname als Rufname“ erlebe ich eher selten, nur bei Leuten >16 Jahre und v.a. aus dem ländlichen Raum. Da steht dann sogar auf dem (Familien-)Grab nur der Nachname.

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  3. Sehr lustig! In meiner Jugend waren es auch nur Jungs, die vorzugsweise mit Nachnamen gerufen wurden. Oft, aber nicht nur, die besonders „Coolen“, die braven Klassenbesten eher nicht. Mit Vornamensdopplungen hatte das weniger zu tun. Die Coolness des eigenen Sohns kann man aber schlecht schon bei der Namensvergabe steuern – oder doch?! 😉

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  4. Interessanter Beitrag, zumal es auch wirklich bemerkenswert ist, dass meist nur Jungs mit Nachnamen oder komischen Spitznamen angesprochen werden, oft sogar ältere Männer. Bei uns gab es in der Schule mal einen „Fool“, keine Ahnung, wieso, oder einen Knut, der eigentlich aber anders heiß – wie, weiß ich bezeichnenderweise nicht mehr. Sogar Freunde meines Vaters werden nicht Franz oder Thomas, sondern häufig mit Spitznamen bedacht. Interessnt finde ich auch deine Beobachtung, welche Namen es trifft, da ist mir nämlich noch kein Schema aufgefallen. „Fool“ hatte einen Dreisilber als Vornamen, während ein anderer Klassenkamerad mit Nachnamen angesprochen wurde und einen sehr kurzen Vornamen wie Ben trug. Häufige Namen, da könnte was dran sein. So hatten Theresas und Magdalenas oft unterschiedliche Spitznamen (allerdings Süßes wie Resi), während mir gerade einfällt, dass sogar zwei Julias mit Nachnamen gerufen wurden, eine weitere Juli und eine andere Ju. Das könnte wohl wirklich ein Aspekt sein.

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  5. Mein Rat für kompromisslose Anti-Spitznamen-wenn-das-Kind-doch-einen-vernünftigen-Vornamen-hat-Freunde: Bekommt keine Kinder. Es lässt sich auch durch noch so sorgfältig gewählte Vornamen nicht verhindern, dass Spitznamen vergeben werden. Ob kurz oder lang, häufig oder selten, hart oder weich – das kann bei allen Vornamen passieren.

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  6. Über diesen Kommentar wird sich Antinatalistin bestimmt freuen 🙂

    Aber im Ernst, die meisten Leute, die ich kenne und die als Kind mit ihrem Vornamen Probleme hatten, haben ihn mittlerweile gern. Und falls ein Name wirklich eine Belastung darstellt, kann man ihn immer noch ändern. Als Tochter und Mutter denke ich, Eltern machen es immer so gut, wie sie können, sei es Namen vergeben oder erziehen. Wenn man das im Auge behält, kann man vieles verzeihen (und verziehen bekommen).

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  7. Ich denke, es liegt daran, dass Jungen spätestens zwischen 8 und 12 erwachsen und cool sein wollen, und da passt ein weichgespülter Vorname wie Elias oder Lino einfach nicht mehr. Peinlich genug, dass Mama sie immer noch Bärchen nennt und es der grösste Horror wäre, wenn die Kumpels das mitkriegen. Es muss also ähnlich erwachsen wie ein Nachname klingen, schliesslich hat „Mann“ in diesem Alter alles schon erlebt, jeden Kettensägen-Film gesehen und alles ausprobiert. Zumindest, solange man mit der Peer-Group unterwegs ist. (Zuhause siehe Mama und Bärchen.) Und wenn man Pech hat, bleibt so ein möchtegern-cooler Name wie „Palli“ oder „Hacker“ kleben. (Eigene Beobachtung.)
    Mädchen werden ja selbst als (junge) Frauen noch als Mädchen bezeichnet, und da genügt bei einem zu langen Vornamen eine Kurz- oder Koseform. In meiner Kindheit waren es eben Bines, Biggis oder Caros, heute gibt’s bei Mia, Pia oder Ida nichts mehr abzukürzen.
    In meiner Schullaufbahn tauchten Jungen gottlob erst in der Oberstufe auf – bis dahin hatten wir das Glück, unsere Interessen für Mathe und/oder Naturwissenschaften ungehindert zu entdecken und auszuleben zu können – bei denen mir aber nur einer in Erinnerung ist, der mit Nachnamen angesprochen wurde, und das nicht mal duchgängig. Alle Lehrkräfte verwendeten erstaunlicherweise nur die vollständigen Vornamen.
    Und ein Physiklehrer rief in einer Parallelklasse gern „Susanne“ auf, wenn er nicht mehr weiterwusste. Irgendeine der 5 Susannes würde sich schon angesprochen fühlen…

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  8. Mich erstaunt auch immer wieder, dass us-amerikanische (Spitz-)Namen bei Jugendlichen als so wahnsinnig cool gelten, während sie von werdenden Eltern oft als „bildungsfern“ abgestempelt werden. So wird zB aus Pauline Polly, aus Jonathan Johnny, oder die Aussprache wird angepasst (Mäx, Lukäs, …).

    Bei Gruppen von trans*Jugendlichen, die sich ihren Namen ja selbst aussuchen konnten, hat oft weit mehr als die Hälfte einen englisch ausgesprochenen Namen (zB Elijah, Sam, Aiden) oder einen zumindest „potentiell englischen“ Namen (zB Noah, Liam, Robin). Durch die Popularität von Mangas und Anime gibt’s gelegentlich aber auch japanische Namen.

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  9. Interessant, ist mir eher aus indirekter Erfahrung (Filme, die in Schulen spielen) und dergleichen bekannt. In den Klassen, in denen ich Schüler war, wurden höchsten gängige Spitznamenversionen der Vornamen vergeben, sonst nichts. Da wurde der Andreas Andy genannt, der Michael Michi, die Manuela Manu und die Daniela Dani. Sonst war nicht viel los. Damals kam noch niemand bei uns in Hessen auf die Idee, den Thomas Tom zu nennen. Der hieß einfach Thomas. Aber halt, es gab doch einen einzigen Jungen, der mit Nachnamen gerufen wurde: sein Name begann mit „Mühl-“ und er wurde „Mühli“ gerufen. Und ja, bei einem Mädchen wäre so eine Nachnamenskurzform wohl kaum aufgekommen. Ich wurde einfach Mark genannt, ist ja kurz und knapp genug. Als der Rapper Marky Mark bekannt wurde, haben mich die mir wohlgesinnten manchmal Marky Mark genannt, das war irgendwie ein sehr freundlicher Rufname.

    Bei meinen jetzigen Schülern beobachte ich, dass Jungennamen tatsächlich viel häufiger abgekürzt werden als Mädchennamen. Jeder Jonathan ist ein Joni, ein Samuel ist oft ein Samu, ein Florian ist ein Flo. Die Mädchennamen werden viel seltener abgekürzt, aber es gibt eine Leonie, die Leo genannt wird.

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  10. An unserer Schule hatten wir viele Vornamen, die mehrfach vorkamen. Alle Christians wurden beim Nachnamen genannt, die Johannesse (ist das die Mehrzahl von Johannes?) wurden mit Vor- und Nachnamen angesprochen, ebenso die und Annikas/Anikas. Zwei der An(n)ikas hatten den gleichen Nachnamen, die wurden „Annika (Nachname) mit einem bzw. mit zwei n“ genannt. Und dann gab es noch Karola, die wurde Karl genannt.

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  11. Bei uns wurden hauptsächlich die Leute mit dem Nachnamen angesprochen, deren Vornamen doppelt vorkamen. Wenn man einen „lustigen“ Nachnamen hatte, passierte das auch, aber eher vereinzelt (ich hatte z.B. eine Bekannte, die mich immer mit dem Nachnamen angesprochen hat, aber die war die einzige). Zur Gewohnheit wurde das meistens nur, wenn sich die entsprechende Person darüber aufgeregt hat.

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