Gesucht: Mörderische Namen

Wie Eltern Namen suchen, darüber habe ich schon viel gelesen und auch geschrieben. Doch wie gehen Schriftsteller vor, wenn es an die Namensfindung für Helden, Schurken und Sidekicks geht? Wie ist das, wenn man nicht nur Vor-, sondern auch Nachnamen frei wählen kann? Verweist das Ergebnis schon auf das Wesen der Figuren? Christian Kraus, der in Hamburg als ärztlicher Psychotherapeut und Psychoanalytiker arbeitet und in seiner Freizeit Krimis schreibt, hat sich meinen Fragen gestellt. Im Sommer erscheint sein dritter Psychothriller, „Nichts wird dir bleiben“, die Vorgänger heißen „Der Seele dunkle Seite“ und „Töte, was du liebst“.


Christian Kraus
Christian Kraus

Wie finden Sie die Namen für Ihre Figuren?

Meist assoziativ. Mit vielen Namen verbinde ich wie wohl jeder Eigenarten und Gefühle, die mehr oder weniger zu den Figuren passen. Manchmal stelle ich mir die Eltern der Figur vor und deren Wünsche an ihr Kind zum Zeitpunkt der Namensgebung. Alexander aus „Töte, was du liebst“ hat Eltern, die hohe Erwartungen an sein berufliches und persönliches Fortkommen stellen. Das drückt sich, finde ich, in diesem Namen aus. Luise, die weibliche Hauptfigur, hat einen Namen, den ich mit dem kernigen, freien, neugierigen und mutigen Mädchen assoziiere, das Luise einmal war.

Welche Kriterien sind Ihnen noch wichtig – spielen Bedeutung und Klang eine Rolle oder die Tatsache, dass ein Name typisch für ein bestimmtes Alter ist?

Genau. Das alles. Aber auch: Gibt es Koseformen des Namens, mit denen Partner oder Eltern die Figur ansprechen, was die Beziehungen lebendiger erscheinen lässt. Und: Eignet sich der Name zum Veräppeln. Im Fall von Alexander Pustin hatte ich schon früh die Idee, dass er beim Dienstantritt bei der Mordkommission von einem seiner Kollegen aufgezogen wird („Er heißt Pussy! Wie geil ist das denn?“). Also brauchte ich einen Nachnamen, mit dem das funktioniert.

Hänseleien sind etwas, wovor viele Eltern große Angst haben. Welchen Zweck erfüllt diese kleine Szene in Ihrer Geschichte?
Ich wollte dem Alexander gleich zu Beginn ein paar Steine in den Weg legen. Seine Kollegen veräppeln ihn, sein Chef konfrontiert ihn auf unangenehme Weise, aber Alexander lässt sich nicht kleinkriegen. Eine gute Gelegenheit, ihn mit seiner verletzlichen, aber auch kämpferischen und teils ungestümen Seite darzustellen.

Worauf kommt es Ihnen ansonsten bei den Nachnamen an?

Vor- und Nachname sollten bezüglich Klang, Herkunft der Figur und geweckten Assoziationen zur Figur passen. Nachnamen bieten zusätzliche Möglichkeiten, etwas über die Figur auszudrücken. In meinem neuen Thriller heißt eine der Hauptfiguren mit Nachnamen Goldman. Er ist zu Beginn ein ziemlicher Unsympath, macht im Verlauf der Geschichte aber seinem Namen alle Ehre.

Wie wichtig ist es für Sie beim Schreiben, dass Ihre Charaktere einen Namen haben?

Spätestens nach circa fünfzig Seiten müssen die Hauptfiguren ihre Namen haben, die ich dann auch nicht mehr verändere. Ich muss mich beim Schreiben an meine Figuren gewöhnen, sie kennen- und lieben oder hassen lernen. Dafür brauchen sie einen Namen, der dann auch bleibt.

Benennen Sie überhaupt mal während des Schreibens Figuren um?

Nur in der frühen Schreibphase. Für die Hauptfigur in „Nichts wird dir bleiben“, den Psychoanalytiker Thomas Kern, hatte ich ursprünglich den Namen Tom vorgesehen. Mein Literaturagent fand den Namen zu kurz und ‚abgehackt‘ und unpassend für einen eher sensiblen, zurückhaltenden Mann, der erst im Verlauf der Geschichte zu seiner Stärke findet. Also wurde Tom zu Thomas.

Sind Nebenfiguren einfacher zu benennen als Hauptfiguren?

Die Namen meiner Nebenfiguren dürfen gerne mal etwas klischeehafter ausfallen. So heißt etwa ein ruppiger Polizist Robert Kantig, ein Schlägertyp Mirco Keulig, Spitzname Keule. Hauptfiguren haben mehr Tiefe und eine umfangreiche Vorgeschichte, sollen dem Leser vielfältigere Identifikationsmöglichkeiten bieten. Hierfür einen passenden Namen zu finden, finde ich meist anspruchsvoller.

Haben die „Guten“ andere Namen als die „Bösen“?

Ich beleuchte gerne die fließenden Grenzen zwischen Gut und Böse und suche Antworten auf die Frage, warum jemand „böse“ geworden ist. Die „Bösewichte“ sind bei mir oft vielschichtige, geheimnisvolle Menschen mit bewegter Vergangenheit. Ich habe versucht, dies bei der Namenswahl – Rafael und Timon – zu berücksichtigen.

„Ähnlichkeiten mit Lebenden oder Verstorbenen wären rein zufällig“ – das haben wir unzählige Male gelesen. Haben Sie schon mal Namen, bewusst oder unbewusst, an real existierende Personen angelehnt?

Mit Nachnamen ist mir das in meinem ersten Krimi zweimal passiert. Betroffen waren ein entfernter früherer Bekannter sowie die Ehefrau meines damaligen Chefs. Letzteres war mir deutlich peinlicher. Aber es wurde mir, glaube ich, nicht übelgenommen. Absichtlich verwende ich keine Namen von Menschen, die mir bekannt sind. Auch bei der Ausgestaltung der Figuren achte ich sehr darauf, dass sich niemand wiedererkennt.

Fällt Ihnen eine Figur aus Welt- oder Unterhaltungsliteratur ein, deren Namen Sie besonders gut gewählt finden?

Harry Potter. Sehr englisch – siehe Prinz Harry! –, schlicht, modern, griffig und cool, auch etwas geheimnisvoll. Ein genialer Name für einen jungen Zauberer in einem Plot, der sowohl in der realen Gegenwart als auch in einer fiktiven Parallelwelt spielt.

Haben Sie bei der Namenswahl für Ihre Tochter ähnliche Kriterien angelegt wie bei Ihren Figuren?

Ein Stück weit schon. Der Name sollte klanglich mit dem Nachnamen zusammenpassen und bei meiner Frau und mir keine Assoziationen zu Menschen gleichen Namens, die uns unsympathisch waren, wecken. Am Ende hatte wir für jedes Geschlecht drei Namen und haben daraus nach der Geburt den passenden Namen ausgesucht. Das hat leider etwas gedauert, sodass unsere Tochter einen ganzen Tag lang keinen Vornamen hatte.

2 Gedanken zu „Gesucht: Mörderische Namen“

  1. Äußerst interessant!

    Vor vielen Jahre habe ich mal ein faszinierendes Radio-Interview mit einer Autorin von Unterhaltungs-Romanen gehört. Ganz leichte, schwebend-flirrende und witzige Stimme („unsere natürlichen Feinde, also Germanisten und Bibliothekare…“). Und die meinte, daß die „böse Frauen“ (also die eifersüchtigen Schrappen) in ihren Romanen immer spitzige, schrille Namen à la Sigrid haben müßten. Und die Heldin (am Ende kriegen sie sich) eben euphone, vokalreiche Namen.

    Ich habe leider den Namen der Interviewten vergessen und lese derlei auch nicht. Aber ein Satz hat mich sehr bewegt: „Was ich schreibe, sind Anleitungen zum Träumen.“

    Der schönste und zugleich traurigste Liebesroman, den ich kenne, ist übrigens „Gott schützt die Liebenden“ von Johannes Mario Simmel. Zuerst 1957. Da heißen die Hauptfiguren Sybille und Paul.

    Neulich habe ich mit jemandem zusammen den Plot für eine Parodie auf die zeitgenössischen Mittelalterromane ausgeknobelt. Hauptfiguren:

    1. Schwester Hieronyma vom „Orden der keuschen Schwestern von der hl. Emma von Berlin“ (vulgo „Lila Schwestern“).

    2. Bruder Jehan von den „Rechtsrittern des hl. Josephus Antonius von Hispanien“ (vulgo „Spanische Phalanx“).

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  2. bei TKKG heißen die leicht trödeligen Gangster immer Norbert und danach irgendetwas was kurz und trödelig klingt.
    Norbert Prönk, Norbert Wurm, etc.

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