Mein seltener Name und ich: Reingard

Bei Schwangeren in meinem Umfeld kann ich nicht an mich halten. Kürzlich habe ich wieder einer werdenden Mutter das Beliebte Vornamen Jahrbuch in die Hand gedrückt. Dieses wurde auch gern genommen, mein Angebot, weitere Namen vorzuschlagen, jedoch mit Erstaunen quittiert. Denn: Ein Name, der nicht in den Top 500 steht, sei ohnehin zu ausgefallen.


Nun finde ich es ja schon toll, wenn jemand sich mit den Hitlisten auseinandersetzt und die Top 20 nicht als alleingültige Auswahlliste (miss-)versteht. Aber es fasziniert mich immer wieder, dass so ein breiter Konsens darüber besteht, wie Kinder heute eigentlich nicht heißen sollten. Dabei gibt es immer wieder Menschen, die berichten, sie hätten letztens ein süßes Baby namens Barbara oder einen Windelträger mit Namen Winfried kennengelernt und würden den Namen jetzt mit ganz anderen Augen sehen. Geht doch!

Auch Reingards Name gehört zu denen, die sich wohl die wenigsten an einem Kind vorstellen können. Süß, lieblich, modisch – das ist Reingard alles nicht. Stattdessen wirkt der Name, der aus dem Althochdeutschen stammt und in etwa „die Rat gebende Hüterin“ bedeutet, auf mich eher herb, stark – ja, und rein. Eine hochwohlgeborene Burgherrin? 1966, als meine Interviewpartnerin geboren wurde, entsprach ihr Name dem gängigen Schema kaum mehr als heute, die Top-Namen waren Sabine, Susanne, Claudia. Reingard wuchs in Norddeutschland auf, mit drei Geschwistern, die – weitaus gängiger – Volker, Frauke und Christoph hießen. Ihr Name ist ein Kompromiss: „Mein Vater mochte den Wunschnamen meiner Mutter nicht – Miriam. Da wurde ich halt so genannt, wie meine Mutter hieß.“

Mein seltener Name und ich

Mag sie ihren Namen? „Darüber habe ich eigentlich nie nachgedacht. Es ist halt mein Name, der gehört zu mir.“ Sie hat keinen Spitznamen und findet das gut. „Nur Kinder dürfen sagen wie sie wollen, Reinrein hatte sich eine Weile eingebürgert.“ Einen Kritikpunkt hat sie aber doch: „Es gibt viele Menschen, die in der Eile einen Reinhard aus mir machen und am Telefon meinen Mann sprechen wollen. Diese Unachtsamkeit ist zuweilen aber auch heiter. So bekam ich mit 18 einen Musterungsbescheid.“ Momente, in denen sie lieber einen anderen Namen gehabt hätte, gab es auch. „Aber das hing eher damit zusammen, dass ich den gleichen Namen wie meine Mutter trug.“ Im Ausland geht ihr Name den wenigsten glatt über die Lippen, deshalb greift sie dann auf ihren zweiten Vornamen zurück: Maria. „Auch wenn es manchmal seltsam ist, so angeredet zu werden. Zumindest ist dieser Name sowas von international.“

Nach ihrer Erfahrung finden die meisten ihren Namen „zunächst schwierig, dann aber doch sehr schön“. Die Leute fragen oft noch mal nach, um sie nicht falsch anzusprechen, und stecken ihren Namen „in die Nibelungen-Ecke, wie Kriemhild oder Kunigunde“. Neben ihrer Mutter hat sie bisher nur eine andere Reingard getroffen, „eine Kneipenwirtin, etwa mein Alter“. Reingard hat einen Sohn, 2009 geboren: Jonasio (gesprochen Djonasio). Auch wenn dies Welten von der althochdeutschen Reingard entfernt zu sein scheint, ihr Name hat sie beeinflusst: „Ich hatte keine Scheu, meinem Kind einen besonderen Namen zu geben.“ Tatsächlich handelt es sich sogar um eine Eigenkreation, zusammengesetzt aus der Kurzform von Joseph, dem Namen des Vaters, und Nasio, einem Sänger aus der Karibik, die auch die Heimat von Jonasios Vater ist.

7 Gedanken zu „Mein seltener Name und ich: Reingard“

  1. Schöner Artikel, der zeigt, wie das Karibisch-Exotische und das Altdeutsche durchaus im Zusammenhang allgemeiner Offenheit stehen können. Mir geht Modetyrannei immer auf die Nerven–in allen Lebensbereichen, muß ich sagen….

    Wenn man einem Kind einen ungewöhnlichen Namen gibt (gerade auch einen ganz altmodischen), schafft man Tatsachen–und mit dieser Tatsache findet sich die Umwelt meistens ab, gewöhnt sich, und öffnet sich sogar… Das ist zumindest meine Erfahrung. Dabei bin ich nicht für totales Namenschaos–aber Offenheit ist immer geraten, denn man muß eben auch irgendwie den Namen eines Menschen annehmen, um den Menschen selbst vollkommen anzunehmen.

    Jonasio würde mir nicht gefallen, wenn es nichts mit der Familiengeschichte zu tun hätte. Aber der karibische Hintergrund macht diesen Namen vollkommen plausibel, gerade auch weil neue Namensschöpfungen in der Karibik Tradition sind.

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  2. Namen mit „gard“ finde ich allgemein schön–da höre ich das Wort „Garten,“ eben ein umzäunter, geschützter Ort (und „gard“ bedeutet ja auch „Hort/geschützter Ort“).

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  3. Mal ehrlich, wenn ich den Namen Dschonasio zum ersten Mal HÖREN würde, würde ich denken: Oh wie furchtbar kann man den Namen Jonathan verunstalten. Der Junge braucht immer einen Beipackzettel zu seinem Namen.

    Mit der Geschichte wirkt der Name schon OK, aber der Beipackzettel muss immer mitgeliefert werden.

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  4. Die Meinungen zu lesen sind schoen und offen. Ich selber heiße Raingard. Meine Eltern aenderten das “e” zu “a”, weil Sie meinten es sehe estaetisch besser aus. Mir gefällt es! 🙂

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  5. Eine Kollegin von mir heißt Reingard. Anfangs war ich auch verwundert, zumal sie oft Reini genannt wird und ich sie zunächst mit ihrem Spitznamen kennen gelernt habe. Aber aufgrund der Seltenheit hab ich mir den Namen schnell gemerkt und finde ihn schön. Das liegt wohl auch daran, das in meiner Familie und Bekanntenkreis immer wieder eher seltene oder ungewohnte Namen vorkommen. (Barbara, Kasper, Melchior, Balthasar, Kolja, Dariel, Afra, Bernhard, Bertram, Anjes, Jule, … [alle jünger als 25])
    Sie hat aber auch von verschiedenen Momenten erzählt, da sie zum Reinhard wurde. Vor allem, wenn sie in Watezimmern aufgerufen oder auch in Briefen falsch angeschrieben wird.

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  6. Ich heiße auch Reingard und kann die Erfahrungen im Wartezimmer evt. bestätigen. Aber ganz so selten ist der Name auch nicht: zwei Mal ist mir der Name in München und zwei Mal in Südbaden begegnet. In Wismar gibt es ein Hotel Reingard und eine Dame aus Hamburg trug diesen Vornamen. Als Kind hatte ich gerne Inge oder Ursula geheissen, aber inzwischen finde ich Reingard sehr schön und apart.

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