Wie Marlon zu seinem Namen gekommen ist

Mit viel Humor erzählt Thomas Scholtyssek in Achterbahn zum ersten Milchzahn, wie er sich dem Abenteuer „Vater werden“ gestellt hat. Ein wichtiges Anliegen ist es dem Autor, den Lesern auch seine Erfahrungen mit dem „HELLP Syndrom“ (Schwangerschaftsvergiftung) weiterzugeben.


Hier eine Leseprobe, in der es um die Namenssuche geht:

Beim Thema Geschlecht waren wir uns einig, Hauptsache gesund, wobei Nicole eindeutig eher in Richtung weibliches Geschlecht tendierte, weil man Mädchen laut ihrer Aussage ja soooo schön anziehen kann und sie viel mehr Mädchen- als Jungennamen zur Auswahl hätte. Ich tendierte natürlich in Richtung männliches Geschlecht, weil man mit Jungen aus meiner Sicht viel besser Sport machen kann, besonders Fußballspielen, und die Namensauswahl erheblich leichter fällt. So saßen wir also etwas angespannt bei ihrem Frauenarzt im Wartezimmer. Ich natürlich noch nervöser als Nicole, denn wann besucht man als Mann schon die Praxis eines Frauenarztes?

„Aaah, da sind ja die werdenden Eltern, dann treten Sie bitte ein“, begrüßte der Herr Doktor uns freundlich. Nach einem kurzen Vorgespräch, dessen Inhalt ich vor lauter Aufregung nur am Rande wahrnahm, begann die eigentliche Ultraschalluntersuchung. „Aha, da haben wir ja schon das Geschlecht.“ „Eindeutig“, sagten Nicole und der Frauenarzt fast zeitgleich. Der Einzige, der mal wieder nichts sah, war ich. Gut, der kleine schwarze Punkt vom letzten Ultraschallbild war mittlerweile wesentlich größer, auch der Kopf und das Rückgrat waren gut erkennbar, aber das Geschlecht? Ich wollte gerade auf dem Monitor noch mal genauer hinsehen, als sich das Baby leider zur Seite drehte.

„Und, was wird es denn nun?“ fragte ich ungeduldig in Richtung der beiden. „Na ein Junge, hast du es etwa nicht gesehen?“ fragte Nicole völlig erstaunt. „Nein, habe ich nicht, irgendwie finde ich diese Ultraschalluntersuchungen und die Bilder ziemlich unübersichtlich. Aber egal, Hauptsache ein Fußballer und Stammhalter“, grinste ich in die Runde.

Bei der Namensfindung sah ich mich nun urplötzlich im Vorteil, denn die eventuell in Frage kommenden Mädchennamen, an die meine Frau gedacht hatte, waren somit ausgeschieden. Beim Namen unseres zukünftigen Sohnes waren wir uns immerhin einig, daß er nicht zu konservativ sein sollte. Mit konservativ meine ich zum Beispiel so nette Namen, die bestimmt meine Oma favorisieren würde. Namen wie zum Beispiel Erwin oder Wilhelm. Seien wir mal ehrlich: Nichts gegen Erwin oder Wilhelm, aber die passen irgendwie nicht in die heutige Zeit, oder? Meine persönlichen Namensvorstellungen waren zwar zeitgemäß, aber dummerweise nicht mit unserem relativ langen Nachnamen kompatibel, das mußte sogar ich einsehen. Ich hatte so nette Namen wie Base, Drogba, Eminem oder Guy in meiner engeren Auswahl. Nicole fand Justin, Marvin und Leon gut. Diese Namen tauchten jedoch leider regelmäßig in sämtlichen Tageszeitungen unter der Rubrik „Neugeborene“ auf und waren somit öfter vergeben als uns lieb war. Man stelle sich die ersten Kindergeburtstage mit drei Marvins, zwei Justins und fünf Leons vor, muß ja nicht sein. Das erinnert mich übrigens an meine Kindergeburtstage, auf denen komischerweise immer alle Kinder Thorsten, Thomas, Martin oder Kai hießen. Gott sei Dank gibt es heutzutage das Internet, wo sogar noch die entsprechenden Bedeutungen zu den Namen mitgeliefert werden. Zum Beispiel sollte man sein Kind nicht Baran nennen, was soviel bedeutet wie Regen. Bei uns in der Gegend regnet es schon genug.

Nach tagelanger Auswertung der Webseiten und einem Merkzettel mit ein paar Namen entschieden wir, uns mit der Namenssuche doch noch etwas Zeit zu lassen. Im nachhinein betrachtet, der größte Fehler den wir machen konnten. Unser Merkzettel wurde von Woche zu Woche länger, um anschließend von Woche zu Woche wieder kürzer zu werden, bis zum Schluß kein Name mehr zur Auswahl stand.

„Vielleicht sollten wir ihn doch Base nennen, läßt sich doch super rufen, paßt gut zu Techno-Musik, und der erste Gedanke ist immer der Beste“, grinste ich Nicole an. „Nur über meine Leiche, das können wir dem Kind und den Großeltern nicht antun“, antwortete Nicole leicht entsetzt. Der Gedanke, wie meine eigene Mutter des öfteren Base rufen muß, trieb mir erneut ein breites Grinsen ins Gesicht – witzige Vorstellung. „Es wird sich bestimmt bald ein passender Name finden.“ Insgeheim sah ich uns schon Monate später bei der Taufe des Kindes stehen, immer noch auf der Suche nach einem passenden Namen, doch – wie so oft – der Zufall half uns weiter. Beim Schauen einer meiner vielen Lieblingsserien fiel es uns dann fast zeitgleich wie „Schuppen von den Augen“. „Marlon wäre doch nicht schlecht, oder?“ sagten wir fast zeitgleich. Hätte der Schauspieler alias Marlon in der Serie keine Haare, Pickel und erhebliches Übergewicht gehabt, wäre der Name sicherlich umgehend ausgeschieden. „Kennst du irgendwelche Marlons?“ fragte Nicole. „Nein, höchstens Marlon Brando, den aber nicht persönlich, kleiner Scherz.“

Wir hielten für uns intern also vorerst „Marlon“ fest, waren uns aber einig, diesen Namen niemandem zu verraten, um jegliche eventuelle Diskussionen über den Namen unseres Sohnes zu unterbinden. Bis auf den verschwiegenen Frauenarzt wußte ja bisher niemand von unserem Glück.

„Meinst du nicht, es wäre an der Zeit, unsere Eltern und nach und nach unsere Freunde sowie Arbeitskollegen einzuweihen? Sonst verspreche ich mich bestimmt irgendwann, oder mein Dauergrinsen wird wirklich zu auffällig“, fragte ich Nicole. „Ja, machen wir, die ersten drei besonders kritischen Monate haben wir mittlerweile überstanden, und irgendwann sieht man die Schwangerschaft sowieso. Ich habe mir auch schon etwas für unsere Eltern überlegt.“ Das war wieder so typisch für Nicole. Ich hatte mir vorgestellt, zum Beispiel eine E-Mail oder SMS zu senden, wozu gibt es schließlich die modernen Kommunikationsmöglichkeiten, aber Nicole wollte die freudige Nachricht über den baldigen Familienzuwachs entsprechend „attraktiv“, am besten persönlich, verkünden. Sie hatte sich eine kleine Truhe, so eine Art Schatzkiste im Miniaturformat, besorgt und ein paar bunte Babysocken hineingelegt. Wir fuhren also mit dieser Kiste als erstes unter irgendeinem Vorwand zu ihren Eltern. Nach ein wenig Smalltalk inklusive unserem Dauergrinsen überreichte Nicole ihrer Mama als erstes diese kleine Schachtel.

„Was ist das denn? Verheiratet seid ihr doch schon? Haben wir irgend etwas verpaßt?“ Fragen über Fragen. Ihre Eltern ahnten offensichtlich wirklich nichts. Nicoles Mama öffnete die Schachtel und sagte überrascht: „Nanu, was ist das denn? Schau mal, Heinz, wie süß, nur, was sollen wir damit?“ Ob sie den Wink mit dem Zaunpfahl wirklich nicht gleich verstanden hat, weiß ich bis heute nicht. Sie überlegte, glaube ich, immer noch, als Nicoles Papa uns schon umarmte und gratulierte.

Die allgemeine Freude war auf jeden Fall riesig groß. Die gleiche Prozedur spielte sich ein paar Tage später bei meiner Mutter und meiner Oma ab. Ich drückte meiner Mutter diese kleine, schon erwähnte Schachtel in die Hand. Sie öffnete und sagte: „Oooh, wie niedlich, so kleine Socken, ein Geschenk für Teddy?“ An dieser Stelle der Hinweis: Meine Mutter sammelt Teddys aller Art und bastelt sie sogar selber. Fakt ist, auch meine Mutter hat, glaube ich, den Wink mit dem Zaunpfahl nicht sofort verstanden. Im nachhinein betrachtet, denke ich, lag es daran, daß keine unserer Mütter damit gerechnet hätte, noch jemals in diesem Leben Oma zu werden. Unsere Mütter haben übrigens – wie der Zufall es will – den gleichen Vornamen. Zukünftig wären sie Oma Gisela und Oma Gisela. Mal sehen, wie der arme Marlon das später auseinanderhält.

Wie fast schon befürchtet, stellten die beiden zukünftigen Omas anschließend auch fast die gleichen Fragen: „Wißt ihr denn schon was es wird, und habt ihr auch schon einen passenden Namen?“

Nicole und ich schwiegen wie vereinbart kollektiv, zu viel wollten wir noch nicht verraten.

Quelle:

Achterbahn zum ersten Milchzahn von Thomas Scholtyssek
ISBN 978-3-86744-114-8
kartoniert, 160 Seiten, 135 mm x 210 mm,
EUR 16,90 (D), sFr 29,50, EUR 17,40 (A)

Der Autor:

Thomas Scholtyssek, geboren 1968 in Bremen, ist Diplom-Bauingenieur. Er ist verheiratet und lebt gemeinsam mit seiner Frau und seinem Sohn in Norddeutschland.

5 Gedanken zu „Wie Marlon zu seinem Namen gekommen ist“

  1. Ich kannte das Buch schon und habe es in meinem Bücherregal stehen. Es lässt sich richtig gut lesen finde ich, obwohl ich noch gar keine Mama bin (wir arbeiten drann:). Ich werde es wieder Lesen, wenn ich schwanger bin. Auf jeden Fall hat es sehr viele Gefühle (von Weinen bis Lachen) bei mir freigesetzt wobei das Lachen überwogen hat. Meine schwangere beste Freundin hat es sich auch gerade geholt.
    Den Namen Marlon finde ich sehr schön gewählt. Kompliment.

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  2. Hi, hier vielleicht am Rande erwähnt das gerade das Nachfolgebuch zu Achterbahn zum ersten Milchzahn erschienen ist. Titel: Milchzahn díe Zweite, jetzt rede ich. Habe das Buch gerade durch, es ist einfach fantastisch geschrieben und man erkennt sich als Eltern in so vielen Situationen wieder. Mein Tipp, Ulrike

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