Könnte jeder Name abrutschen?

Schon ein paar Mal bin ich in Namensdiskussionen über die Behauptung gestolpert, man könne ungeniert irgendeinen Namen wählen. Schließlich wisse sowieso niemand, welcher Name einmal abrutschen und an die Stelle von Kevin oder Chantal treten werde. Angesprochen sind dabei natürlich Leute, die genau das befürchten: versehentlich den „falschen“ Namen zu vergeben, zum Leidwesen ihres Kindes.


Nun kann ich mir bestens vorstellen, wie gut es Eltern gemeint haben, die für ihr Kind vor einigen Jahren zum Beispiel Chantal ausgesucht haben. Sicher gab es in dem Fall wirklich ein böses Erwachen. Was macht diesen Namen eigentlich so viel schlimmer als den – nur so als Beispiel – über jeden Zweifel erhabenen Namen Charlotte? Aus dem Französischen stammen beide, werden vornherum auch beide nicht so gesprochen wie geschrieben. Hintenrum hat Charlotte – ohne dass ich Namens-Bashing betreiben möchte! – fast was von „Schantalle“. Das fällt bloß nicht auf, weil es den Namen bei uns schon so lange gibt, bei Herrn von Goethe sogar.

Abrutschgefahr © Marcel Schauer - fotolia.com
Abrutschgefahr © Marcel Schauer – fotolia.com

Was mich zur Ausgangsfrage zurückbringt: Nein, ich glaube nicht daran, dass jeder Name abrutschen könnte. Sicher könnte jeder Name plötzlich in einem peinlichen Kontext auftauchen, einer trashigen Doku-Soap zum Beispiel. Doch nicht jedem Namen kann es etwas anhaben, wenn plötzlich eine Flodder-Familie mit einem so benannten Kind durch die Medien tingelt. Auch für Comedians wie Mario Barth, der Chantal mit in Verruf gebracht haben soll, geben manche Namen einfach nichts her. Einen besonders sicheren Stand hat für mein Empfinden Biblisches wie Maria oder Simon. Namen, die schon vor Generationen in unseren Stammbäumen vertreten waren – am besten dazu noch in Literaturklassikern, siehe Charlotte –, sind eher vor Imageschäden gefeit als neue oder erst in jüngster Zeit, womöglich aus Filmen oder Serien importierte Namen. Außerdem zahlt es sich aus, wenn ein Name so gesprochen wird, wie man ihn schreibt.

All das soll aber nicht heißen, dass man in puncto Namen keine Wagnisse eingehen sollte – das wäre ja furchtbar langweilig. Jeder muss für sich selbst abwägen. Man könnte meinen, dass selbst erfundene oder sehr eigenwillig geschriebene Namen ein Ausweg aus der Misere wären. Da hätten die Spötter schließlich viel zu tun, wenn sie jeden dieser Namen brandmarken wollten. Trotzdem: Sofern die „typischen Zutaten“ (englische Aussprache, abenteuerlich eingesetzte Akzente, pfundweise y etc. pp.) zum Einsatz kommen, ist mit einem solchen Namen wenig gewonnen. Dazu führt er vielleicht sogar im Ausland zu irritierten Blicken.

Vielleicht werde ich eines Besseren belehrt, wenn in zwanzig Jahren in den sogenannten bildungsfernen Kreisen Namen wie Friedrich oder Cornelius boomen. Ich wäre überrascht.

17 Gedanken zu „Könnte jeder Name abrutschen?“

  1. Ich glaube, jeder Name kann abrutschen. Aus den USA gibt es die Beispiele Hilary „the most poisend name of all times:

    https://hilaryparker.com/2013/01/30/hilary-the-most-poisoned-baby-name-in-us-history/

    Inzwischen wohl geschlagen von Isis:

    http://www.babynamewizard.com/archives/2016/5/is-isis-the-fastest-falling-baby-name-of-all-time

    Wenn ein genügend starker Anlass da ist, kann wahrscheinlich sogar Maria komplett unmöglich werden.

    Grrr… und Cornelius ist ein absolut unmöglicher Vorname, der „Held“ in Hans Grimms „Volk ohne Raum“ heißt so …

    Antworten
    • Elbowin,

      Die Beispiele Hillary und Isis unterstützen doch vielleicht sogar Annemaries These: beides sind seltene Namen gewesen, die nicht besonders stark in der Kulturgeschichte der englischsprachigen Welt verankert waren. Deshalb waren sie anfällig. Das gleiche wäre mit einem Namen wie Joseph oder Emily nicht so schnell geschehen–wenn Hillary Emily hieße, wäre ihr Name wahrscheinlich nicht abgestürzt.

      Dazu muss auch gesagt werden, dass in den USA Hillary kein Unterschichtsname ist. Er ist einfach überhaupt nicht mehr beliebt, weil er zu sehr von einer nicht besonders beliebten Einzelperson besetzt ist. Das ist etwas anderes als ein soziales Abrutschen a la Chantal.

      Isis war schon immer eher ein afroamerikanischer Name, daher schon von vornherein ethnisch besetzt. Jetzt, im heutigen Kontext, zeugt der Name allerdings vermutlich von einer gewissen Ignoranz, wenn er noch vergeben wird.

      Cornelius–den Roman „Volk ohne Raum“ kennt fast niemand mehr, und wenn schon, dann meist nur dem Titel nach. Wer denkt bei Cornelius ernsthaft an diesen Roman? Es ist ein biblischer Name, was allerdings auch den meisten heutzutage nicht mehr bewusst ist. Weder die eine noch die andere Assoziation zieht also, meiner Meinung nach. Eher empfinden die Leute ihn als römischen Klassiker, der irgendwie humanistisch-gebildet klingt.

      Der Name ist tatsächlich in Deutschland nicht tief genug verankert um nicht abstürzen zu können, würde ich sagen, im Gegensatz zu einem Namen wie Johannes, z.B. Wenn die Unterschicht sich entscheiden würde, dass der Name Cornelius ihren Status erhöht, und der Name deswegen in der Unterschicht boomt, dann könnte er tatsächlich abrutschen, glaube ich. Aber das ist eher unwahrscheinlich, da sich die Unterschicht eher an Glamour und Coolness orientiert, und nicht an gebildet-klingenden, statuserhöhenden Namen.

      Letztendlich glaube ich schon–und hier stimmen wir überein–dass man den Verlauf der Geschichte nie richtig vorhersagen kann. So wurden in den USA ja ganz gebildete klassisch-römische Namen wie Julius und Calpurnia zu typischen Sklavennamen; der Verlauf der Geschichte überrascht uns doch immer wieder. Grundsätzlich kann jeder Name abrutschen. Trotzdem ist es doch so, denke ich, dass bestimmte Namen, welche die von Annemarie genannten Kriterien erfüllen, besser gegen den Abrutsch gefeit sind als andere. Insofern stimme ich also mit Euch beiden überein.

    • Nur ganz kurz (und neben Dank für Marks wie immer sehr interessanten Erläuterungen zu den Sitten in den USA): Cornelius. In einem politischen Milieu, in dem ich mich zeitweilig bewegt habe, gab es nur einen Cornelius. Und das war natürlich nicht der aus dem Grimm-Roman (das liest heute wirklich keiner mehr) und auch nicht biblisch, sondern ein – Rumäne. Natürlich der „Capitanul“, also Corneliu Codreanu.

      Ferner natürlich: Lucius Cornelius Sulla. Der wurde in besagtem Milieus auch hochgeachtet.

      Ich meine jedenfalls auch, daß durch irgendwelche für niemanden vorhersehbaren Konstellationen jeder Vorname „abstürzen“ kann. Im Gegensatz zu FAZ-Journalisten haben wir leider alle keine Kristallkugel in der Tasche.

      Aber das ist eher unwahrscheinlich, da sich die Unterschicht eher an Glamour und Coolness orientiert, und nicht an gebildet-klingenden, statuserhöhenden Namen.

      Jäp. Und diese US-Sklavennamen sind ja – also zumindest tendenziell – nicht von ihren Trägern ausgewählt worden, sondern perfiderweise von ihren Herren, die sich dadurch ihrerseits selbst-aristokratisieren wollten.

  2. Nur ganz kurz eine Überlegung: Ist Charlotte nicht auch in den letzten zehn, fünfzehn Jahren in gewisser Weise „abgerutscht“? Wie nennt ein Comedy-Autor oder ein Kolumnist ein verzogenes Bionade-Bourgeoisie-Gör mit spätgebärender Mutter und wahlweise als „Hochbegabung“ oder als „ADHS“ maskierter Grund-Dusseligkeit? Natürlich Charlotte, Sophie, Alexander oder Philipp. Diese Namen sind doch auf ihre Weise auch schon Karikaturen wie Kevin oder Chantal.

    Antworten
  3. ich habe erst vor kurzem gelesen, dass Kermit ein normaler Name (glaube eher für Schwarze) in Amerika war.
    Jetzt denkt jeder an den Frosch. Der ist zwar an sich in Ordnung, aber man möchte vielleicht nicht damit in Verbindung gebracht werden.
    dasmerkwürdig. ich habe gedacht die Figuren in solchen Kindersendungen haben Fantasienamen?

    https://www.youtube.com/watch?v=WOvxX7SHKiE

    Antworten
    • Jetzt denkt jeder an den Frosch. Der ist zwar an sich in Ordnung, aber man möchte vielleicht nicht damit in Verbindung gebracht werden.

      Aber wie ist es den zum Beispiel mit Donald?

      Wir haben da jetzt den Trump – aber davor doch eigentlich nur Donald Duck, also eine humoristisch-folkloristische Ente aus den USA…

      Mir fiele kein ernstzunehmender Mensch ein, der zuvor je Donald geheißen hätte. Und nun ist das da ein Präsidentschaftskandidat…

    • bei Donald wusste ich zumindest, dass das ein Name ist. Die Figur wurde also mit einem realen Vornamen besetzt. Gut.
      Kermit, das Beispiel von oben, kannte ich nicht als realen Namen, hielt es für einen Fantasienamen. Zur Zeit als die Muppetshow bekannt wurde, hießen ja auch schon Leute Kermit. Die haben sich vermutlich bedankt über die plötzliche Umdeutung ihres bisher wenig auffälligen Namens. das habe ich neulich erst gelesen darum der Kommentar.

    • Kein totaler Modename, aber doch immerhin vorhanden – auch nach dem Auftreten der Ente.

      Na ja, aber zählen diese komischen amerikanischen Dons so richtig?

      Einen hatte ich aber wirklich übersehen, und das war mir erst nach meinem Beitrag von 0:27 aufgefallen: Donald Tusk.

      Aber dennoch: So ganz kann ich den Namen nicht ernstnehmen…

      Während ich nun Kermit immer vollends nur für einen US-Puppen-Frosch gehalten habe…

    • Kermit ist ein irischer Name, der in den USA durch die vielen irischen Einwanderer Verbreitung fand. Grün ist die Nationalfarbe der Iren–deshalb wurde der grüne Frosch, mit seinem berühmten Lied „It’s not easy being green“ mit einem sehr irischen Namen versehen.

      Donald Duck erhielt seinen Namen, weil die Alliteration mit Duck gewünscht war, und weil Donald damals ein gängiger Modename war. Meine Großmutter hätte 1948, wenn meine Mutter ein Sohn gewesen wäre, diesen Donald oder Ronald genannt. War damals noch Mode. Erst als es nicht mehr so viele Donalds gab, wurde der Name stark von der Ente eingenommen.

    • Kermit kommt von dem irischen Nachnamen MacDermott, was „Sohn des Diarmaid“ bedeutet. Diarmaid ist ein alter irischer Helden- und Königsname, der „frei von Neid“ bedeutet.

      U.S.-Präsident Theodore „Teddy“ Roosevelt (nach dem der Teddybär benannt ist), nannte einen seiner Söhne Kermit.

    • Bei Donald denke ich natürlich zuerst an den amerikanischen Informatiker Donald Knuth, der weit mehr gemacht hat als „nur“ TeX zu programmieren.

      Für Deutschland halte ich den Namen aber nicht für besonders geeignet wegen des Aussprachedilemmas Dohnalt vs. Donnelt (das d am Ende kriegen die Deutschen sowieso nicht hin).

    • Ich hatte vor Jahren in der Tat einen US-amerikanischen E-Brieffreund namens Donald, kurz natürlich Don. Der war sich als weltläufiger Mensch (oder auch nur als Ami, der im Alltag mit zahlreichen Hispanics konfrontiert ist) natürlich der Tatsache bewußt, daß dieses „Don“ („Herr“) in anderen Sprachen schon ein bißchen komisch klingen kann…

      Ganz neu war mir, daß Donald Duck heute unter jungen Leuten nicht mehr bekannt ist/sein soll, so der SpOn-Artikel…

    • Gerade noch mal „Ghostbusters II“ (1989) gesehen und musste an diesen Thread denken: Sigourney Weavers Filmbaby heißt Donald 🙂

    • „U.S.-Präsident Theodore ‚Teddy‘ Roosevelt (nach dem der Teddybär benannt ist),“

      Heute ist übrigens der hundertste Todestag von Theodore „Teddy“ Roosevelt. Also der Präsident der USA, nach dem dem die Teddybären Teddybären heißen. Faszinierender, aber auch kontrovers zu sehender Mann. Mag ihn sehr, obwohl er Spanien seiner letzten Kolonien beraubt hat. :-/

      Ein echter Mann.

      Das mit dem Teddybären kam wohl so: Präsident Roosevelt wollte als leidenschaftlicher Jäger unbedingt einen Bären schießen. Der ließ sich aber im Revier nicht auftreiben. Also haben ihm seine Knechte einen Bären vor die Flinte getrieben. Roosevelt hat sich geweigert zu schießen. Ein Mann schießt nicht auf Wehrlose, Frauen oder Kinder. Auch von den Amis kann man Manieren lernen. Die Anekdote ist dann von Spielwarenherstellern aufgegriffen worden.

      Mein eigener Teddybär als Kind in den 70ern hieß ganz einfach Teddy. 🙂

      John Singer Sargent hat Theodore Roosevelt sehr schön portraitiert.

Schreibe einen Kommentar zu elbowin Antworten abbrechen