Mika oder: Wie mein Name mich gefunden hat

Die wenigsten Menschen suchen sich aus, wie sie heißen. Mika aber gehört dazu. Doch es war ein langer Weg bis dahin. Hört man ihm zu, wie er seine Geschichte erzählt, stockt einem öfter mal der Atem. Als er 1963 geboren wird, ist es für seine Familie ein Schock: Das Neugeborene ist weder eindeutig Mädchen noch Junge. „Ich bin ein XXY-Mensch“, weiß Mika heute. Das heißt, er hat ein zusätzliches X-Chromosom. Er wird auf den Namen Astrid getauft und als Mädchen aufgezogen. Doch das funktioniert nicht.


Er kann gerade mal schreiben, als er selbst einen Namen für sich wählt: Michael. In seinem Geburtsjahr der zweithäufigste Jungenname, der aus der Bibel stammt und „Wer ist wie Gott?“ bedeutet. Wie er darauf gekommen ist, weiß er nicht. „Es war wohl die Weisheit eines Kindes.“ Welchen Jungennamen seine Eltern vor der Geburt für ihn ausgesucht haben? Das erfährt er nie, mittlerweile sind beide Eltern verstorben. Seine Wahl müssen sie zwangsläufig akzeptieren: „Auf Astrid habe ich nicht gehört.“ In der Schule ist er Außenseiter, „der Komische, der Schwule“ – trotz des Mädchennamens, der im Klassenbuch steht. Erst als er mit 14 einen Erzieher mit langen Haaren hat, lässt er sich die Haare wachsen.

Eine schwere Sehbehinderung von Geburt an, später eine Krebserkrankung, von der er Einschränkungen zurückbehält, dann die kranken Eltern, die er bis zu ihrem Tod pflegt – Mikas Päckchen wiegt schwer. Sein Studium kann er nicht beenden und wird schließlich frühverrentet. Mehrfach macht er einen Anlauf in Richtung geschlechtsangleichende Operation, sammelt Gutachten, die auch bei fehlverteilten Chromosomen nötig sind. Immer wieder kommt etwas dazwischen. Sein Vater bestärkt ihn schließlich, seine Mutter ist immer dagegen.

Dass Astrid ein nordischer Name ist, von den germanischen Wörtern für „Gott“ und „schön“ abgeleitet, gefällt ihm grundsätzlich sehr gut – wenn das falsche Geschlecht nicht wäre. Erst mit Ende 40 klappt es endlich mit der ersehnten Behandlung, und er kann die Wahl seiner Eltern korrigieren. Warum es nicht Michael, sondern die Variante Mika wird? „Ich fühle mich Skandinavien, besonders Finnland, sehr verbunden.“ Mika ist auch für Mädchen zulässig. Das stört ihn aber nicht, er sieht den Namen nicht so. Ihm ist auch egal, dass ein Mika in seiner Generation auffällt – bei einem Deutschen, sein Namensvetter Mika Häkkinen ist nur fünf Jahre jünger als er. „Ich bin sowieso nicht Schema F.“ Seine Freunde haben den Namen gleich gut angenommen, nur seine Schwester vertut sich noch manchmal. „Das befremdet mich dann schon. Denn Astrid – das war ich nie. Ich war namenlos.“

4 Gedanken zu „Mika oder: Wie mein Name mich gefunden hat“

  1. Eine schwere Last, die er da tragen musste. Ich bewundere seine Kraft, dass er das alles durchgestanden hat. Aber ich finde gut, dass er sich gegen das „Mädchen“ gewehrt hat, wenn er sich als Junge gefühlt hat. Und Mika ist wirklich ein schöner Name 🙂

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  2. Ich hätte es ja schöner gefunden, wenn er bei Michael geblieben wäre.
    Sein Name, den er sich schon damals ausgesucht hat – mit Mika als Spitznamen.
    Aber natürlich ist der Name richtig, für den er sich entschieden hat.
    Es ist immerhin einer, der zu ihm gehört und sich nicht mehr „falsch“ anfühlt.
    Kann Hannah da ansonsten nur zustimmen!

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  3. Der Biologe in mir ist gerade etwas verwundert, weil ich immer gelernt habe, XXY sei ein sehr unauffälliges Krankheitsbild – die meisten Betroffenen wissen nicht einmal, dass sie es haben. Dass man das bei der Geburt schon merkt/sieht, halte ich für unwahrscheinlich. Ist es vielleicht möglich, dass „XXY-Mensch“ hier einfach ein Ausdruck für „weder-noch“ sein sollte und die Ergänzung des Autors „Das heißt, er hat ein zusätzliches X-Chromosom“ dazuerfunden wurde? Sollte das nicht so sein und Mika tatsächlich 47XXY haben, nehme ich den Kommentar natürlich verwundert und belehrt zurück 😉

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    • Ich habe versucht, Mikas Geschichte so wiederzugeben, wie er sie mir erzählt hat, und hoffe sehr, dass es mir gelungen ist. Nach allem, was ich über das XXY-Syndrom lesen konnte, ist sein Fall hierfür aber tatsächlich nicht typisch. Es waren nicht die Chromosomen, die gleich bei seiner Geburt auffielen, sondern Augenfälligeres. Doch wie dem auch sei – er trägt heute einen ganz anderen Namen als bei seiner Geburt, und darauf kam es mir vor allem an.

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